ANDREAS FANIZADEHLEUCHTEN DER MENSCHHEIT
: Abwarten und Kat kauen mit Nurrudin Farah

Der ungestillte Wissenshunger treibt den Intellektuellen immer weiter und weiter und weiter, bis er im Falle Somalias auf eine neue literarische Quelle stößt: Nurrudin Farahs gerade auf Deutsch erschienene „Netze“ (Suhrkamp 2009).

Da ist er also, der allen Al-Schahab-Milizen und Allah zum Trotz erschienene politische Roman. Mit Farah streifen wir duch ein Bürgerkriegs zerstörtes Mogadischu, lesen von männlicher Verwahrlosung, Kindersoldaten und – Kat: „Er kaut, seine Backentaschen sind zum Bersten gefüllt. Sein Gesicht zeigt den berauschten Ausdruck eines gewöhnlichen obdachlosen Alkoholikers, während er mit geschwollener Zunge schmatzt und hin und wieder auch versehentlich draufbeißt.“ Die Männer in Farahs Roman kauen unisono die Volksdroge Kat, stinken aus den Mündern und spielen nervös an ihren Maschinenpistolen. So weit, so realistisch.

Man will es Farah auch nicht verdenken, ob eines solchen Szenarios lieber in Südafrika zu residieren oder die Zuflucht europäischer Literaturhäuser zu suchen. Doch Zweifel ob der Angemessenheit der Darstellung sind angebracht, nicht nur wegen der Kat-gewählten Männer-Ekelbeschreibung.

Vielleicht hat Farah gar selbst einmal ein bisschen zu viel am Kat genascht? Seine Romangestalt, die weibliche Heroin Cambera, eine nach Mogadischu zurückgekehrte kanadisch sozialisierte Supersomalierin wirkt überzeichnet. Eine Karateka zwischen Tradition und Moderne im Kampf gegen ganz Männlich-Kat-Somalia. Das literarische Hauptgemächt von Farahs Werk steht auf Seite 109: „Er bereitet seine Fahrt so sorgfältig vor wie ein Rinderzüchter den erigierten Bullenpenis in eine Kuh lenkt.“ So soll also Farahs kanadisch-somalische Schönheit beobachten und denken.

Die Konstruktion der weiblichen Überfigur scheint ziemlich missraten. Und die zerstörerische Kat-Blätter mit dem Wirkstoff Cathin und Cathinon? In den Niederlanden und Großbritannien gilt Kat als harmloser als Kaffee oder Tabak. In Deutschland ist es jedoch verboten.

Andreas Fanizadeh leitet das Kulturressort der taz. Foto: privat