Engagierte Ikone

NACH DER WM Der französische Fußballweltmeister Lilian Thuram predigt in seinem Bestseller Antirassismus

Dass Sport und Politik nicht so scharf getrennt werden, dafür setzt sich Thuram ein

VON ANDREAS RÜTTENAUER

Alexander Puschkin ist ein Star. Ein schwarzer Star. Lilian Thuram sieht das so. Auch er ist ein Star, einer der ganz großen des Weltfußballs. 1998 gehörte er zu der französischen Mannschaft, die den Weltmeistertitel gewonnen hat. 142 Mal ist er für Frankreich aufgelaufen, so oft wie kein anderer. 2008 beendete er seine Karriere. Schon zuvor war ihm klar, was er nach seiner Karriere machen will. Er hatte sich vorgenommen, in die Schulen zu gehen und den Kindern das Phänomen Rassismus zu erklären. Weil er ein schwarzer Star ist, war er sich sicher, dass ihm die Kinder zuhören würden. Denn Kinder brauchen Stars.

Das schreibt er im Vorwort zu dem Buch, das in den Wochen vor der ersten WM, die in Afrika stattfindet, in Frankreich an fast jeder Supermarktkasse feilgeboten wird. „Meine schwarzen Stars“ heißt es. Thuram hat Porträts von bedeutenden schwarzen Persönlichkeiten zusammengestellt.

Prominente Scorer

Eine davon ist Alexander Puschkin. Der Urgroßvater des russischen Dichters stammte aus Abessinien, war von dort entführt und als Sklave am Zarenhof gehalten worden. Das allein macht ihn für Thuram noch lange nicht zum Star. Die Bedeutung Puschkins für die russische Literatur schon. Ein schwarzer Star ist er für Thuram, weil er sich mit seiner Identität als schwarzer Russe auseinandersetzt und die kulturelle Vielfalt, die er selbst verkörpert, auch thematisiert.

Das mache Puschkin zu einem „modernen Dichter“. Er fühlte schwarz, obwohl er in der Gesellschaft als Weißer akzeptiert war. Bemerkenswert findet Thuram das und erzählt von seinem Sohn Khephren, den er einmal gefragt hat, ob er der einzige Schwarze in seiner Klasse sei. „Ich bin nicht schwarz“, erwidert der, „ich bin braun.“ „Und die anderen“, fragt Papa Thuram. „Die sind rosa.“

Die Welt ist bunt. Schwarze können etwas. Und wenn sie sich das bewusst machen, werden sie nicht zu Opfern. Das ist Thurams Mission. Es ist ganz einfach der Antirassismus, den er predigt. Wer so denkt wie Thuram, mag die Augen verdrehen und fragen: Ist doch klar, aber muss man das wirklich so plakativ darstellen?

Auch Barack Obama ist einer von Thurams Stars. „Lilian, das ist wunderbar. Das hätte ich nie geglaubt“, sagte seine Mutter nach der Amtseinführung Obamas. Beinahe verzweifelt klingt es, wenn 2010 einer glaubt betonen zu müssen, wie wichtig es ist, dass es ein Schwarzer ins Weiße Haus geschafft hat. Hintergründig ist es nicht, Thurams Mutmacherbuch, das mit einem Kapitel über Lucy beginnt. So heißt eine Hominidenart, deren über drei Millionen Jahre alte fossile Knochen 1974 in Äthiopien gefunden wurde. Für Thuram ist sie „unsere symbolische Großmutter“.

Lilian Thuram ist nicht der erste schwarze Sportler, der seine Prominenz nutzt, um gegen Rassismus zu kämpfen. Kareem Abdul-Jabbar, der, was die Punktausbeute betrifft, beste Basketballer, der je in der US-Profiliga NBA gespielt hat, wandte sich mit einer ähnlichen Mission wie Thuram vor zehn Jahren an die amerikanische Öffentlichkeit. „Black Profiles in Courage: A Legacy of African-American Achievement“ heißt sein Werk. Wie Thuram sprach Abdul-Jabbar vor allem seine Fans an. Nicht wie andere Sportstars, die sich zur Ruhe gesetzt haben, als Werbe-Ikonen oder Sportkolumnisten, sondern mit einem politischen Anliegen.

Der Dribbler als Ingenieur

Dass Sport und Politik nicht so scharf getrennt werden sollten, wie es Sportfunktionäre der großen Verbände gerne hätten, dafür setzt sich Thuram schon seit Jahren ein. 2006, als er noch für die Nationalmannschaft spielte, organisierte er für 70 „Sans Papiers“, Menschen, die hierzulande als Illegale bezeichnet werden, einen kostenlosen Stadionbesuch bei einem Länderspiel. Die rechten Parteien tobten. „Wir führen keine Diskussion mit Sportlern, die in der Politik nichts verloren haben“, sagte ein Parlamentsabgeordneter.

Thuram, der längst zur Ikone eines multikulturellen Frankreich geworden war, engagierte sich weiter. „Man kann Fußball verehren“, schreibt er, „man sollte aber bedenken, dass sich die Grundwerte der Republik nur verwirklichen, wenn selbst der größte Dribbler eines Tages auch Ingenieur, Unternehmenschef oder Gewerkschafter werden kann.“ Dann richtet er noch einen Appell an seine Kickerkollegen: „Mit dem Fuß einen Ball zu schießen ist allein noch kein Kampf gegen die Ausgrenzung, Ungerechtigkeit und Diskriminierung.“

Lilian Thuram: „Mes étoiles noires – De Lucy à Barack Obama“. Philippe Rey, Paris 2009, 399 Seiten, 18 Euro