GescheiterterFitzcarraldo

WÜSTENOPER Michael Schindhelm erzählt in „Dubai Speed“ von der Unmöglichkeit, Kulturmanager im Reich der Ölscheichs zu sein

Schindhelm resümiert ernüchtert die Ausbeute seiner Zeit in Dubai. „Lächerlich“, schreibt er dazu in sein Tagebuch

VON MICHAEL BÖHM

In der Behörde, die das wohl ehrgeizigste Kulturprojekt der Neuzeit stemmen wollte, herrschte eine merkwürdige Arbeitsmoral: Einige Kollegen diskutierten zwischen neun und elf ausgiebig die Lunchoptionen in der Kantine, andere trafen erst gegen Mittag und dann zumeist müde ein, wieder andere tauschten spätestens am Nachmittag Lippenstifte aus und ließen Familienfotos herumgehen. Auf diese Art ein Opernhaus, neun öffentliche Bibliotheken, zehn Museen, elf Galerien und vierzehn Theater in relativ kurzer Zeit aus der Taufe zu heben, ist sicherlich schwierig.

Verantwortlich dafür, dass dieses Projekt gescheitert ist, macht Michael Schindhelm jedoch nicht nur den „netten Spielplatz“, wie er sein ehemaliges Büro in der Dubai Culture and Arts Authority nennt. Dort hat der glücklose Direktor der Berliner Opernstiftung fast zwei Jahre gearbeitet – als „Alleinerziehender“, wie er sagt. In seinem nun erschienenen Tagebuch lässt Schindhelm, von 2007 bis 2009 Kulturmanager in Dubai, sein umstrittenes Engagement im Emirat am Persischen Golf Revue passieren: ungeschminkt, analytisch, nie um sarkastische Spitzen verlegen. Ursprünglich ging Schindhelm vor drei Jahren in die boomende Wüstenmetropole Dubai, um eine Oper zu errichten. Doch es war der Wille des Emirs Scheich Muhammad bin Raschid al-Maktum, aus Dubai die glamouröse Welthauptstadt des 21. Jahrhunderts zu machen, ihren unzähligen Shoppingmalls, Luxushotels und Geschäftshäusern noch mehr Kulturbauten hinzuzufügen: als Ausdruck moderner muslimischer Identität, als Touristenattraktion. „Ich will, dass ihr die Stadt mit Kultur überflutet“, sagte er. Schindhelm berichtet daher lakonisch, wie sich in seinem Büro im 28. Stock eines Wolkenkratzers aus aller Herren Länder Karrieristen und Glücksritter einfinden, die irgendwie mitmischen wollen in Dubais großem Geschäft: Architekten, die immer neue Entwürfe vorstellen, dubiose Manager, die ihre Visitenkarten verteilen, und selbsternannte Experten, die mit Kontakten und Beziehungen prahlen. Das Buch gibt so einen irritierenden Einblick in die Praktiken einer modernen absolutistischen Monarchie, wo die alleinige Entscheidungsgewalt des Herrschers einhergeht mit nahezu neoliberalen Wirtschaftsmethoden: Die Kulturbauten würden in Konkurrenz zueinander entwickelt, heißt es immer wieder in den abgehaltenen Konferenzen.

Beduinenzelt mit Laptop

Es ist vor allem die Gunst des „Bosses“, des Emirs, um die man konkurriert. Dieser ist beständig von „Experten“ belagert, vertraut aber nur wenigen Leuten: So häufen sich die Ämter unter seinen Familienmitgliedern, werden sie mit Aufgaben überlastet, bleibt die Arbeit liegen und lange unklar, warum aus Dubais großen Kulturträumen nichts wurde: In den Augen der Emiratis musste nämlich das geplante Universalmuseum der Künste schnellstmöglich Geld bringen, sie rechneten illusorisch mit jährlichen Milliardeneinnahmen, und letztlich war alles nur eine Marketingstrategie gewesen – für die hochspekulativen Immobiliengeschäfte des Landes.

„Wir in Dubai“, zitiert Schindhelm einen Emirati, „sind es gewohnt, die Regeln des Spiels neu zu erfinden.“ Allerdings ist dieses mit der einsetzenden Finanzkrise vorbei: Die Immobilienpreise gehen in den Keller, Dubais Kredibilität wird immer geringer und die Büros seiner Kulturbehörde stehen verlassen, wie die Luxuskarossen der geflohenen Finanzjongleure am Flughafen. Schindhelm, der in der Presse vollmundig vom „Aufklärungswillen“ der Ölscheichs sprach und sich von ihr zuweilen als „Zeremonienmeister einer modernen Diktatur“ beschimpfen lassen musste, resümiert ernüchtert die Ausbeute seiner Zeit in Dubai: eine Fotoausstellung, geschätzte 4.000 Zuschauer, 311 verkaufte Kataloge, einige hundert Postkarten und Poster – und unzählige Projekte, die nie ernsthaft angegangen wurden. „Lächerlich“, schreibt er dazu in sein Tagebuch.

Jedoch ist Schildhelms „Dubai Speed“ nicht nur der resignierte Bericht eines gescheiterten Engagements. Er erzählt auch vom Spagat einer Kultur zwischen Tradition und Moderne, in der das Beduinenzelt gleichberechtigt neben Laptop und Mobiltelefon existiert; vom Leben in einer pulsierenden Stadt, die aus der Vergangenheit in die Zukunft flüchtet, ohne in der Gegenwart haltzumachen – und von den Missverständnissen, die daraus resultieren. Schindhelm will damit zum Dialog anregen, zwischen dem Westen und den kleinen Staaten der Golfregion, die noch immer eine Alternative aufzubauen suchten „zu ihren oft in Unfrieden, sozialer Ungerechtigkeit und religiösem Fanatismus verhafteten Nachbarn“.

Die Finger des Teufels

Allerdings lässt er dabei den Intellektuellen vermissen, als der er gewöhnlich gilt. „Dubai Speed“ entbehrt zuweilen grundlegender Reflexionen über die Kultur des Landes, die er hatte bereichern wollen. „Es gibt hier Leute, viele Leute, die sagen, Klavierspielen komme von den Fingern des Teufels“, notiert er beispielsweise die Aussage eines Kollegen. Aber – was heißt das? Kein Wort verliert Schindhelm darüber, dass sich der sunnitische Islam schwertut mit Musik, sie gar als vom Propheten geächtete Sünde betrachtet und bis heute entsprechende Verbote aufrechterhält. Selbst wenn der Muezzin die Stimme hebt, erkennen viele darin Musik, die nicht erlaubt ist. All das bedeutet auch Tradition und Mentalität – zumal in einem Land, in dem eine konservative Form des Islam, der Wahhabismus, herrscht.

Schindhelm lässt die Fantasien der sich in Dubai tummelnden Hasardeure unkommentiert: Wie aufregend es doch sein müsse, dieser „großen, freundlichen, unschuldigen Sandfläche ungestört die Insignien unserer Hochkultur einzuzeichnen“, „in einer Welt, die jungfräulich ist, keine Tradition, kein Erbe kennt, keine Kulturvoraussetzungen hat, noch einmal neu anzufangen?!“ Ist das Sarkasmus, Ironie oder Ausdruck von westlicher Arroganz, die er immer nur bei anderen ausmacht? Der Leser erfährt es nicht. So verfehlt Schindhelms durchaus lesenswertes Buch sein Ziel. Und die Nachdenklichkeit, mit der er es geschrieben hat, bleibt an der Oberfläche.

Michael Schindhelm: „Dubai Speed“. dtv, München 2010. 256 S., 19,90 Euro