Heringssalat mit Rindfleisch

LEBENSMITTEL Schinken-Imitat, Plagiat-Käse und und andere „Als-ob-Lebensmittel“: Der Foodwatch-Chef Thilo Bode greift die Industrie an

VON JOST MAURIN

Fruchtkremfüllungen müssen in Deutschland nicht aus Frucht bestehen, in „Heringssalat“ darf auch Rindfleisch stecken und „Schinkenbrot“ darf selbst dann so heißen, wenn das Brot keinen Schinken enthält. So steht es im Lebensmittelbuch, das Leitsätze für die Hersteller festlegt. Das Werk hat zwar offiziell keine Gesetzeskraft, de facto aber schon. Denn es wird von Vertretern der Produzenten, der Verbraucherzentralen und den Wissenschaften geschrieben, die vom Bundesernährungsministerium berufen werden. So legitimiert es die Praxis vieler Hersteller, dem Verbraucher billige statt teure Inhaltsstoffe unterzujubeln.

Eine Steilvorlage für die „Essensfälscher“, wie Thilo Bodes neues Buch heißt. „Täglich täuschen Nahrungsmittelproduzenten und -händler uns Verbraucher mit angeblicher Spitzenqualität, die nur ein raffinierter Werbegag ist“, klagt der Geschäftsführer der Konsumentenorganisation Foodwatch. Danone beispielsweise verspreche, dass sein Trinkjoghurt „Actimel“ die körpereigenen „Abwehrkräfte gegen Krankheiten aktiviert“. Wissenschaftler der Universität Wien hätten herausgefunden, dass es kaum Unterschiede zwischen Actimel und Naturjoghurt gebe, schreibt Bode.

Wie schafft es Danone dennoch, mit so einem Allerweltsprodukt weltweit schätzungsweise mehr als eine Milliarde Euro pro Jahr einzunehmen? Durch massive, irreführende Werbung. In Arztzimmern würden Actimel-Gutscheine ausgelegt, Wissenschaftler der 17 weltweiten „Danone-Institute“ priesen den Joghurt als Heilsmittel.

Ähnlich trickreich verkauft die Firma Abraham ihren „Schwarzwälder Schinken“. Auf der Website des Unternehmens heißt es, der Schinken werde „ausschließlich im Schwarzwald“ hergestellt. Aber das hält Bode für eine „Irreführung der Verbraucher“. „Denn kaum einem normalen Kunden dürfte die feine, aber entscheidende Differenz zwischen Herstellung und Erzeugung geläufig sein.“ Tatsächlich komme von den jährlich 750.000 Schweinen, die Abraham im Schwarzwald zu Schinken verarbeitete, kein einziges aus der idyllischen Region, sondern aus Massenställen in Holland, Niedersachsen oder Belgien. Dort wird das Fleisch erzeugt, im Schwarzwald wird der Schinken nur hergestellt. „So spekuliert Abraham offensichtlich darauf, dass viele Kunden glauben, Schwarzwälder Schinken stamme von Schwarzwälder Schweinen.“

Selbst Bioprodukte fallen bei Bode durch. Auch sie seien immer stärker verarbeitet, was die Möglichkeit zum Schummeln erheblich erweitert. Auch Öko-Hersteller versteckten in Frühstückscerealien wahre Zuckerbomben und würden damit gezielt um Kinder werben. Der größte Posten im Werbeetat der Lebensmittelindustrie geht für den Bereich „Schokolade und Zuckerwaren“ drauf. Da bekommt das Problem eine nicht zu unterschätzende gesellschaftspolitische Dimension. Denn mit ihrer betrügerischen und verantwortungslosen Werbung, so Bodes These, tragen sowohl konventionelle als auch Bio-Unternehmen dazu bei, dass sich immer mehr Menschen ungesund ernähren. Dabei sind laut Bundesregierung 37 Millionen Erwachsene und 2 Millionen Kinder in Deutschland zu dick. Durch Ernährung mitbedingte Krankheiten verursachten Kosten von 70 Milliarden Euro pro Jahr.

Deshalb fordert Bode ein gesetzliches Verbot für die Ernährungswirtschaft, durch ihre Produktaufmachungen und -informationen Kinder und Jugendliche zu falschen Kaufentscheidungen zu verführen. Der Staat müsse auch vorschreiben, den Gehalt von Inhaltsstoffen, wie zum Beispiel Zucker, in Ampelfarben auf der Packung zu kennzeichnen – ein Vorschlag, den das EU-Parlament gerade abgelehnt hat. Gegen „Schinken-Imitat, Plagiat-Käse und viele andere Als-ob-Lebensmittel“ empfiehlt Bode, die von den Behörden ertappten Betriebe zu veröffentlichen. Das schrecke mehr ab als meist zu niedrige Geldstrafen.

All diese Thesen und Belege kennt man von Foodwatch schon, aber Bode hat sie in seinem Buch packend zusammengefasst. Seine Beweisführung hat jedoch auch Schwachstellen. So kritisiert Bode zwar zu Recht die seit Jahren hohen Zahlen von Verstößen, die die staatlichen Lebensmittelkontrolleure entdecken.

Aber er vergisst, dass die Inspekteure mangels Personal nur dort gucken, wo mit hoher Wahrscheinlichkeit Schmu zu vermuten ist. Die Kritik an den Zusatzstoffen in Bioprodukten ist richtig. Aber daraus gleich der Öko-Branche allgemein eine „große Bio-Illusion“ vorzuwerfen, scheint übertrieben, dürfen die Biohersteller doch weit weniger Zusatzstoffe verwenden als die konventionelle Konkurrenz. Doch diese Schwachstellen des Textes sind Ausnahmen. Das Gros der Beispiele, von denen das Buch lebt, ist überzeugend – und empörend.

Thilo Bode: „Die Essensfälscher. Was uns die Lebensmittelkonzerne auf die Teller lügen“. S. Fischer, München 2010, 256 Seiten, 14,95 Euro