DORIS AKRAPLEUCHTEN DER MENSCHHEIT
: Aus der Gefahrenzone bringen

Hallo unsichtbare Gefahr? Bist du noch da? Ich hoffe nicht, weil so langsam nervt es. Bis letzten Sonntag waren ja nur ganz Deutschland bzw. der Bundestag, das Adlon und die S-Bahn-Verbindung von Kronberg nach Frankfurt bedroht, seit Sonntagabend 22.30 Uhr sind es aber auch die Demokratie, die Diplomatie, der Staat, die Staatengemeinschaft, die Politik, das Geheimnis. Durch die Enthüllungen von Wikileaks erklärten Politiker und Journalisten all das und noch viel mehr zu vom Aussterben bedrohten Spezies. Wikileaks-Gründer Julian Assange hatte zudem vorab verkündet, dass im Übrigen auch die ganze bisherige Weltgeschichtsschreibung gefährdet sei. Denn durch die Veröffentlichung der diplomatischen Insiderwitze werde nichts mehr so sein wie vorher.

Assange wollte mit seinem Coup also weder die Demokratie, die Diplomatie, den Staat, die Staatengemeinschaft, die Politik oder das Geheimnis bedrohen, sondern schlicht und ergreifend die USA. Die Bombe, die er mit dem Diplomatengepäck verschickte, will er womöglich als Fortführung des Anschlags vom 11. September 2001 mit anderen Mitteln verstanden wissen. So jedenfalls lassen sich seine Kommentare durchaus interpretieren. Mit den „Depeschen“ hat Assange allerdings bisher weniger die USA in Gefahr gebracht als sich selbst.

Was nun wirklich Gefährliches in den „Depeschen“ steht, musste man sich allerdings mühsam zusammensuchen, denn die Wikileaks-Seite war fast die ganze Woche unerreichbar. Wer sich die Zeit vertreiben will, bis die Seite wieder hochgeladen werden kann oder irgendein anderes Leck sich auftut, und wer dabei dennoch seinen eigenen Verstand ein wenig aus der Gefahrenzone Internet bringen will, der lese „Das Bilderbuch des nützlichen und unnützen Wissens“ (Knaus 2010) von David McCandless. Der „Informationsdesigner“ sammelt die bizarre Flut von Daten im Internet und bereitet sie in wirklich grandiosen Grafiken auf. Eine von denen trägt den Titel „Ausgelöscht. Bedrohte Arten“. Auf die hier nachlesbare Information, dass beim gastrischen Brütenfrosch oder beim Wachtelsteißhuhn tatsächlich Gefahr im Verzug ist, kann man sich wenigstens verlassen.

■ Die Autorin ist Kulturredakteurin der taz Foto: archiv