Im Angesicht des Todes

GEFÄNGNISBRIEFE Der Briefwechsel zwischen Helmuth James und Freya von Moltke aus den letzten Wochen vor seiner Hinrichtung

Am 23. Januar 1945 wurde Helmuth James von Moltke, Kopf der Widerstandsgruppe „Kreisauer Kreis“, in Berlin-Plötzensee hingerichtet. In seinem letzten Brief heißt es: „Mir geht es gut, mein Herz. Ich bin nicht unruhig oder friedlos.“ Ziemlich genau ein Jahr zuvor war der Spezialist für Völkerrecht beim Oberkommando der Wehrmacht verhaftet worden, weil er einen Freund vor einem Gestapospitzel gewarnt hatte. Helmuth James von Moltke wurde ins Konzentrationslager Ravensbrück eingeliefert.

Das missglückte Attentat auf Hitler vom 20. Juli 1994 brachte eine tragische Wende. Zwar gab es Kontakte zwischen Moltke beziehungsweise dem Kreisauer Kreis und dem militärischen Widerstand um Ludwig Beck, Claus Schenk von Staufenberg, Henning von Tresckow und anderen, aber von Moltke verfolgte andere Ziele und lehnte als Christ den Tyrannenmord ab.

Die Justizbehörden und die Gestapo machten jedoch zwischen dem militärischen Widerstand und dem Kreisauer Kreis keine Unterschiede und verfolgten beide mit blutiger Härte. Helmuth James von Moltke wurde im September 1944 von Ravensbrück ins Strafgefängnis Tegel verlegt, kam in Einzelhaft und wurde während eines großen Teils seiner Haft rund um die Uhr gefesselt.

Dank der mutigen Hilfe des Gefängnispfarrers Harald Poelchau, tauschten Freya und Helmuth James von Moltke fast täglich Briefe. Die Briefe hat Freya unter abenteuerlichen Bedingungen über Polen, Südafrika, die Bundesrepublik und die USA gerettet. Bereits Ende der 80er Jahre hat die Witwe die Briefe ihres Mannes in einem Buch veröffentlicht, ihre eigenen jedoch zurückgehalten. Sie betrachtete diese Briefe als „einen Schatz von Liebe und Freundschaft“, der nicht der Öffentlichkeit, sondern ihr allein gehörte. Ein Jahr nach ihrem Tod am 1. Januar 2010 bringen ihr Sohn und ihre Schwiegertochter die Briefe der Eltern aus den letzten Lebensmonaten in einem Band heraus.

Die Lektüre dieser Zeugnisse eines verbissenen Kampfes zweier Menschen in aussichtsloser Lage gehört zum Erschütterndsten, was je geschrieben wurde.

Beiden ist von Anfang an klar, dass es sich um lauter „letzte Briefe“ handelt, weil sie wussten, wie die summarischen Verfahren vor dem Volksgerichtshof des Blutrichters Roland Freisler verliefen. Beide hielten die banale Hoffnung für einen „Versucher, der eine neue Falle stellt“, und für einen Verrat am Glauben, an die Gnade Gottes. Den Kern aller Briefe bildet ein fulminanter Satz aus dem Römerbrief (14, 8): „Leben wir, so leben wir dem Herrn; sterben wir, so sterben wir dem Herrn. Darum wir leben oder sterben, sind wir des Herrn.“ Die radikale Konsequenz, mit der die beiden diesen Satz deuteten und sich allein im Glauben und im Vertrauen darauf gegenseitig stützten, lässt den Leser gelegentlich schaudern und flößt auch nicht religiösen Lesern bedingungslosen Respekt ein.

Helmuth James von Moltke las in diesen letzten Monaten nur die Bibel und das Gesangbuch und verabredete mit Freya einen regelrechten Bibelkurs. Täglich lasen beide drei Kapitel in der Bibel und tauschten sich über deren Bedeutung für ihre Situation in zuweilen langen Briefen aus.

Da es jedoch nicht immer nur um den Tod gehen konnte, sondern auch um die Bewältigung des schwierigen Alltags im Gefängnis, ergibt sich oft ein groteskes Gefälle: „Sollte ich Ende des Monats noch leben und Du mir noch Sachen bringen können, so brauche ich dann – nicht vorher! – Seife und Rasierseife.“ Freya brachte die Seife und antwortete: „Du sollst Dich wenigstens noch mit schöner Seife waschen können.“

Und ein paar Zeilen weiter schreibt sie: „Außer dem Leben können sie Dir ja nichts nehmen!“ RUDOLF WALTHER

Helmuth James und Freya von Moltke: „Abschiedsbriefe Gefängnis Tegel. September 1944–Januar 1945“. Hg. v. Helmuth Caspar von Moltke und Ulrike von Moltke. München 2011, C. H. Beck, 608 S., 29,95 Euro