WOLFGANG GAST LEUCHTEN DER MENSCHHEIT
: Sicher ist, dass nichts sicher ist

Am kommenden Freitag soll nun in Stuttgart das Urteil gegen das frühere RAF-Mitglied Verena Becker fallen. Viereinhalb Jahre Haft wegen Beihilfe zum Mord fordert die Karlsruher Bundesanwaltschaft, auf Freispruch plädieren die Verteidiger – und ginge es nach dem Willen des Nebenklägers Michael Buback, dann müsste die im November 1989 begnadigte Becker „lebenslang“ erhalten. Denn der Sohn des 1977 ermordeten Generalbundesanwalts Siegfried Buback ist überzeugt, dass die heute 59-jährige Becker die tödlichen Schüsse auf seinen Vater abgegeben hat.

Nach mehr als 90 Verhandlungstagen und rund 160 einvernommenen Zeugen lässt sich die in Buchform veröffentlichte Anklage des Sohns („Der zweite Tod meines Vaters“, Droemer Knaur, 2008) weder verifizieren, noch ist sein Vorwurf zu belegen, dass staatliche Institutionen „eine schützende Hand“ über die Angeklagte halten, weil sie in der Vergangenheit mit den Sicherheitsbehörden des Landes kooperiert hat.

Vor allem der letzte Gedanke hätte es auch aus heutiger Sicht noch in sich, denn das würde bedeuten, die Strafverfolger hätten im Terrorjahr 1977 – dem sogenannten Deutschen Herbst – an führender Stelle über einen Spitzel in den Reihen der RAF verfügt, ohne dadurch die Attentate gegen Buback, den Bankenchef Jürgen Ponto oder den Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer verhindern zu können. Diesem schwerwiegenden Verdacht ist der Hamburger Sozialwissenschaftler Wolfgang Kraushaar gründlich nachgegangen („Verena Becker und der Verfassungsschutz“, Hamburger Edition, 2010). Kraushaar findet zwar jede Menge Unstimmigkeiten in der Vita der Angeklagten und in den Annalen des Berliner Verfassungsschutzes, der als möglicher Auftraggeber Beckers infrage käme. Einen Beleg, ein „Smoking gun“, für die These hat der Autor nach seinen eigenen Angaben aber nicht gefunden. So groß auch die Wellen waren, die das Verfahren gegen Verena Becker geschlagen hat: Am Ende des Prozesses ist sicher nur, dass ganz gewiss nichts sicher ist.

Und weil es so schön ist, wird sich das in Kürze in Frankfurt vor dem Oberlandesgericht wohl wiederholen. Beschuldigt werden die früheren Mitglieder der Revolutionären Zellen, Sonja Suder und Christian Gauger. Sie sollen in den 70er Jahren aus Protest gegen das südafrikanische Atomprogramm Anschläge gegen deutsche Zulieferfirmen verübt haben. Im französischen Exil gelten diese möglichen Straftaten als verjährt, was die dortige Justiz aber nicht hinderte, die beiden im vergangenen Herbst nach Deutschland auszuliefern. Dann also, auf einen neuen Strafprozess.

Der Autor ist Redakteur der taz