Für eine ökologische Weltlandwirtschaft

ERNÄHRUNGSSICHERHEIT 9,3 Milliarden Menschen wird es laut Prognosen 2050 geben. Wie Nahrung für sie produziert werden soll, untersucht Peter Clausing in dem Buch „Die grüne Matrix“

Auch große Umweltorganisationen setzen weltweit lieber auf Wächter und Zäune als auf partizipative Alternativen wie den gemeindebasierten Naturschutz

VON KNUT HENKEL

Der Run auf Land hat in den vergangenen Jahren Schlagzeilen gemacht. Seit den Brotrevolten von 2008, als wegen der stark gestiegenen Preise für Grundnahrungsmittel die Menschen in Mexiko, Haiti, Mosambik, Bangladesch und anderswo protestierend auf die Straße gingen, hat sich das Verhältnis zu den Ackerflächen gewandelt. Sorgen um die Versorgung der Bevölkerung mit preiswerten Nahrungsmitteln machen sich nicht nur China, Südkorea oder die Golfstaaten; auch Investmentbanken, Hedgefonds und Anleger haben entdeckt, dass Ackerland eine Ressource ist, mit der sich Geld verdienen lässt.

Dahinter steht eigentlich immer ein Konzept, das auf industrieller Landwirtschaft basiert. Effizienzsteigerung heißt das Schlagwort, wobei auf chemische Düngemittel und Gentechnik gesetzt wird und die lokale Bevölkerung meist nicht gefragt wird. Partizipation ist nicht vorgesehen, denn moderne Agrarfabriken kommen mit wenig Personal aus, und das kann von überall her kommen.

Genau das lässt sich in Mexiko beobachten, wo Arbeiter aus Honduras bei der Erdbeerernte eingesetzt werden, aber auch in den Treibhäusern Äthiopiens, wo große Landflächen an Investoren verpachtet wurden. Die Nichtregierungsorganisation Grain schätzt, dass weltweit zwischen 80 und 227 Millionen Hektar Ackerland den Besitzer gewechselt haben – das Gros davon in Afrika, und das binnen fünf Jahren.

Dass es auch anders geht, schildert der deutsche Agrarexperte und Publizist Peter Clausing in seinem neuen Buch, „Die grüne Matrix“. Darin zeigt er auf, wie die wissenschaftliche Forschung, aber auch große Umweltorganisationen mit von der Partie sind, wenn es um den Schutz von Umwelt und Biodiversität geht – allerdings im Kontext des herrschenden Modells. Auf Wächter und Zäune wird dabei lieber gesetzt als auf partizipative Alternativen wie den gemeindebasierten Naturschutz. Der integriert die lokale Bevölkerung, statt sie wie andernorts zu vertreiben, wie Clausing anhand zahlreicher Studien nachweist. „Naturschutz ohne Menschen“, lautet das gängige Artenschutzkonzept, das von einer einschlägig bekannten Wissenschaftselite gefördert wird. Diese setzt auf intensive Anbauverfahren, Hightech und Gentechnik, um die Erträge zu steigern und so zusätzliche Flächen für mehr Schutzgebiete zu gewinnen. Land sparing wird das Konzept in der Fachwelt genannt, und dem steht das Land sharing diametral gegenüber.

Dieses nachhaltige Agrarkonzept steht im Fokus des letzten und umfangreichsten Kapitels der „Grünen Matrix“. Dabei steht die agrarökologische Produktion im Mittelpunkt, die durchaus über ausreichend Potenzial verfügt, um die rasant wachsende Weltbevölkerung satt zu bekommen. Das ganz ohne Vertreibung von Menschen von ihrem Land oder unter Schutz stehenden Flächen. Der Clou dabei ist, dass mit der strukturellen Änderung der Agrarpolitik Armutsbekämpfung, aber auch Umweltschutz und der Erhalt der Biodiversität vereinbar sind.

Hightech ist schlechter

Und auch die Mär von der deutlich höheren Produktivität der Hightechlandwirtschaft widerlegt Clausing anhand harter Fakten. Er weist nach, dass die industrielle Agrarwirtschaft nicht nur mengenmäßig, sondern auch, was die Energieeffizienz angeht, mit der agrarökologischen Landwirtschaft nicht mithalten kann. Eine Einschätzung, die auch der UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung, Olivier de Schutter, teilt. Er wirbt für den Ausbau agrarökologischer Anbaukonzepte auf der Südhalbkugel und prognostiziert eine Verdopplung der Produktion binnen zehn Jahren.

Peter Clausing weiß ganz genau, wer bisher die Deutungsmacht inne hat, und daran will er mit der „Grünen Matrix“ etwas ändern. Eine informativer Appell, genau hinzusehen, wenn das Thema Ernährungssicherheit auf den Tisch kommt.

Peter Clausing: „Die grüne Matrix. Naturschutz und Welternährung am Scheideweg“. Unrast Verlag, Münster 2013, 156 S., 13 Euro