Reportage-Buch „Brasilien brennt“: Eine Eroberung via Tagebuch

Wer vor der Fußball-WM etwas über Brasilien erfahren möchte, sollte Adrian Geiges „Brasilien brennt“ lesen. Eine schöne Kennenlernlektüre.

Favela in Sao Paulo: Geiges Brasilien-Berichte sind weder von inhaltsschwerer Analytik noch von moralinsauren Gedankengängen geprägt Bild: dpa

Nanko ist eigentlich entspannt, Joyce ist tot, und Hitler heißt mit Nachnamen Marubo. Er ist Indianerhäuptling, Vorname Hitler. Sein Vater nannte ihn so, damit er ein guter Führer wird. Dafür kann Hitler nichts. Seiner zweijährigen Tochter hat er den jüdischen Namen „Noah“ gegeben, als „private Wiedergutmachung“, wie er sagt. Damit wäre die Hitlersache geklärt.

Die Sache mit Nanko und Joyce ist dagegen etwas komplizierter. Es ist die Geschichte eines Mannes, der in den Armenvierteln Brasiliens den Opfern des Drogenkriegs hilft, den Kindersoldaten; und die eines Mädchens, das nachts in seinem Bett erschossen wurde – weil sich eine Kugel bei einer Schießerei zuerst durch die dünnen Hauswände bohrte und dann durch den Körper von Joyce.

Sie ist tot, unschuldig gestorben, wie so viele Kinder, die, ob selbst bewaffnet oder unbewaffnet, den politischen Konflikten Brasiliens zum Opfer gefallen sind. Adrian Geiges ist ein deutscher Filmemacher und geht in seinem gerade erschienenen Buch „Brasilien brennt“ diesen Geschichten nach.

Der Quadriga Verlag präsentiert sie als Reportagen. Tatsächlich gleicht seine Annäherung an die vielen Facetten Brasiliens einem oft schillernd geschriebenen Tagebuch, einer kleinen Eroberung.

Adrian Geiges: „Brasilien brennt. Reportagen aus einem Land im Aufbruch“. Quadriga Verlag, Köln 2014, 288 Seiten, 19,99 Euro.

Geiges ist kein Brasilienexperte – aber als ein Weltreisender, der viele Jahre seines Lebens als Korrespondent für den Stern oder RTL in Peking, Hongkong, Moskau, New York verbrachte und aus Vietnam, Nicaragua und Kuba berichtete, lebt Geiges nun seit 2013 in Rio de Janeiro und bereist von dort aus ganz Brasilien.

Sein Buch bietet einen undogmatischen, leicht zu erschließenden Zugang zu einem für viele mit Klischees beladenen und schwer verstehbaren Land, für das der nächste Klischeealarm zu erwarten ist, wenn dort Mitte Juni die Fußballweltmeisterschaft beginnt.

In Brasilien brennt – sozialpolitisch – ja tatsächlich vieles. Die Proteste vor den Stadien, die gigantischen Warteschlagen vor den Krankenhäusern und eine gesellschaftliche Korruptionskultur sind nur die offensichtlichsten Hinweise. Schön, dass Geiges Berichte vor diesem Hintergrund weder von klischeehaften Beschreibungen noch von inhaltsschwerer Analytik oder moralinsauren Gedankengängen geprägt sind.

Sie folgen im Gegenteil den recht einfachen Fragen und Konflikten, stoßen aber immer wieder auf die Skurrilitäten und Schätze dieses facettenreichen Landes. Skurril: Zu Besuch bei der einbeinigen Sambatänzerin. Ein Schatz: Hausbesuch bei dem Starjournalisten und Snowden-Vertrauten Glenn Greenwald.

Das Buch hat einige Längen und löst nicht alles ein, was es andeutet. So landet Geiges zwar tatsächlich bei Glenn Greenwald in dessen Privathaus und beschreibt kurz dessen journalistische Maschinerie. Aber in Sachen Greenwald war es das dann schon. Dennoch: Wer zur Weltmeisterschaft das Land Brasilien kennenlernen und etwas besser verstehen will, findet hier den richtigen Einstieg.

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