Der Exorzist und seine Interpreten

RELIGION Reza Aslan erforscht den historischen Jesus von Nazaret und porträtiert den Wanderprediger als antikolonialistisch gestimmten Unruhestifter

Aslan erläutert, wie aus Jesus von Nazaret Jesus Christus gemacht wurde

VON KATHARINA GRANZIN

Jesus von Nazaret lebte in einer unruhigen Zeit. Palästina war von den Römern besetzt, die mit eiserner Strenge herrschten. Es gab unter den Juden viele aufständisch gestimmte Geister, und die Behörden waren bemüht, jedes Anzeichen von Rebellion im Keim zu ersticken.

Auch Pontius Pilatus zögerte nicht, gegen Aufrührer die Todesstrafe zu verhängen – ein Verdikt, das auch Jesus traf, welcher es gewagt hatte, im Tempel, dessen Vorplatz als Basar diente, in Wort und Tat gegen die Händler und Geldwechsler zu wüten. Drei Tage später griffen römische Soldaten ihn in Gethsemane auf, und sein Schicksal war besiegelt.

Wer Jesus genau war, ist eine Frage, der die historische Religionswissenschaft seit Generationen nachforscht – und dabei recht unverändert starken Beschränkungen unterworfen bleibt, da die Quellenlage dürftig ist. Wenn nun der amerikanische Religionswissenschaftler Reza Aslan, bekannt geworden mit seinem Islam-Buch „Kein Gott außer Gott“, ein Buch über den historischen Jesus schreibt, so muss auch er sich der Herausforderung stellen, die Lücken argumentativ zu füllen.

Ohne Bibelexegese kommt da niemand aus, auch wenn alle Evangelien von Menschen geschrieben wurden, von denen höchstwahrscheinlich keiner Jesus je getroffen hatte.

Das trifft auch auf den Konvertiten Paulus zu, dessen eifriger Reisetätigkeit es zu verdanken war, dass der Glaube an Jesus als Christus sich in der hellenistischen Welt auch unter Nichtjuden zu verbreiten begann. Die Paulus-Briefe an die Gemeinden, die er besuchte, sind die ältesten Schriften im Neuen Testament. Als danach die Evangelien entstanden, hatte der Jesusglaube längst mehr nichtjüdische als jüdische Anhänger, und es galt für die Autoren, die Jesus-Geschichten für diese Zielgruppe anzupassen.

Aslan erläutert, sich absichernd durch einen gewaltigen Anmerkungsapparat, wie aus Jesus von Nazaret, dem wahrscheinlich unehelichen ältesten Sohn der Maria, durch seine schreibenden Interpreten Jesus Christus gemacht wurde. Wie sie den jüdischen Nationalisten, der wie zahllose andere als Wunderheiler und Exorzist predigend umherzog und mit seiner wachsenden Anhängerschar einen Unruhefaktor darstellte, als unpolitischen Pazifisten porträtierten, der dem Kaiser gern geben wollte, was das Kaisers war.

Der Erste, der über Jesu Leben schrieb, war der Verfasser des Markus-Evangeliums, das als ältestes der Evangelien wohl um das Jahr 70 n. Chr. entstand. Der Tempel in Jerusalem war just von den Römern zerstört worden, der Großteil der Bevölkerung Jerusalems getötet – darunter auch die Mitglieder der Jesus-Urgemeinde, der Jesu Bruder Jakobus vorgestanden hatte.

Aslan beschreibt den gut belegten Konflikt zwischen Jakobus, der die Lehre seines Bruders innerhalb des Rahmens der jüdischen Tradition auslegte, und dem zunehmend wirkmächtigen Paulus, der Jesus in seinen Schriften zu „Christus“ erhob, also zu Gott selbst, und die jüdischen Bräuche, etwa die Beschneidung, für die neue Religion ablehnte.

Nach Jakobus’ Tod musste Markus, der, vermutlich in Rom lebend, für ein nichtjüdisches Publikum schrieb, keine Rücksichten mehr auf die Urgemeinde nehmen und konnte, was aus Gründen der Mission nahelag, umso mehr dem römischen Selbstbild schmeicheln. Aus Pontius Pilatus, der täglich mitunter Dutzende von Kreuzigungen anordnete, machte er einen nachdenklichen Zauderer, der Jesus am liebsten verschont hätte, wenn die machtversessene Priesterkaste und die anderen Juden nicht dessen Tod gefordert hätten – eine Umwertung der Geschehnisse, die in den späteren Evangelien noch weiter ausgeschmückt wird.

„So wird eine Geschichte, die sich Markus ausgedacht hat, um die Schuld an Jesu Tod von Rom wegzuschieben, im Laufe der Zeit bis ins Absurde überdehnt und bietet dann den Ansatz für 2.000 Jahre christlichen Antisemitismus“, resümiert Reza Aslan Markus’ folgenreiche Dichtung.

Aslans Spurensuche nach der „wahren“ Geschichte Jesu hinter der biblischen Überlieferung ist fesselnd geschrieben, leugnet die Überlieferungslücken nicht und ergänzt diese um ein breitangelegtes Epochenpanorama. In der US-amerikanischen Rezeption gab es den Ansatz, das Recht des rekonvertierten Moslems und Exchristen Aslan in Frage zu stellen, überhaupt ein Buch über Jesus zu schreiben. Ein sehr überraschender Gedanke angesichts der Gewissenhaftigkeit, mit der Aslan sein argumentatives Vorgehen nachvollziehbar macht.

Reza Aslan: „Zelot. Jesus von Nazaret und seine Zeit“. Aus dem Englischen von Henning Dedekind, Karin Schuler, Norbert Juraschitz und Thomas Pfeiffer. Rowohlt, Reinbek 2013, 384 S., 22,95 Euro