Zu arm für Hilfen

Die Arbeitnehmerkammer Bremen möchte – wie die Sozialsenatorin – gegen Kinderarmut vorgehen. Sie stellt ein Modell vor, welches den Zugang zu Kinderzuschlag und Wohngeld erleichtern soll

von Roman Rutkowski

Die Bremer Bundesratsinitiative zur Bekämpfung von Kinderarmut greift nach Meinung der Arbeitnehmerkammer Bremen zu kurz. Sie stellte gestern ein eigenes Modell vor und hofft, dass dieses Grundlage für eine weitere Bundesratsinitiative wird. Im Kern steht dabei eine Reform des bestehenden Bewilligungssystems für Kinderzuschlag und Wohngeld. Diese Hilfen sollen eigentlich diejenigen unterstützen, die zwar Arbeit haben, aber zu wenig verdienen, um sich und ihrer Familie ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen – doch bisher kommen nach Einschätzung der Arbeitnehmerkammer zu wenig Menschen in den Genuss dieser Hilfen, die eigentlich ein Abrutschen in den Bezug von ALG II verhindern sollen.

Anspruch auf die 140 Euro Kinderzuschlag haben Eltern für ein in ihrem Haushalt lebendes, unverheiratetes Kind unter 25 Jahren, wenn sie Kindergeld beziehen. Doch 80 Prozent der Anträge auf den Kinderzuschlag würden bundesweit abgelehnt, so ein Sprecher der Kammer. Der Grund: Das Bewilligungssystem für den Kinderzuschlag habe zu hohe Hürden. So müssen etwa Eltern mit ihrem Einkommen den eigenen Bedarf – dieser ist für einen alleinerziehenden Erwachsenen etwa vom Gesetzgeber auf 347 Euro monatlich plus Unterkunft und eventuellen „Mehrbedarf“ festgelegt – decken können. Hier scheitern bereits die meisten, da sie weniger verdienen als der Staat erlaubt. Außerdem muss die Summe aus eigenem Erwerbseinkommen und staatlichen Hilfen (Kindergeld, Kinderzuschlag, Wohngeld) mindestens dem im SGB II festgelegten Existenzminimum der Familie entsprechen, um Kinderzuschlag zu bekommen. Um Wohngeld beantragen zu können, verdienen sie wiederum zu viel. „Murks“ sagt Johannes Steffen, Referent für Sozialpolitik der Arbeitnehmerkammer dazu.

Steffen schlägt deshalb vor, die Kinderzuschläge zu erhöhen: auf 200 Euro für Kinder unter 14 Jahren, und 270 Euro für 14- 24-Jährige. Die Mindesteinkommensgrenze für den Kinderzuschlag würde entfallen. Das für den Zugang zum Wohngeld festgesetzte Mindesteinkommen soll abgesenkt werden. Weiterhin hätten die Familien je nach Einkommen unterm Strich bis zu 190 Euro mehr in der Tasche, ohne als Hartz IV-Empfänger „stigmatisiert“ zu sein. Für das Modell veranschlagt die Arbeitnehmerkammer Mehrkosten in Höhe von 2 bis 4,5 Milliarden Euro, die im Wesentlichen der Bund übernehmen müsste. Die Kommunen würden massiv entlastet. Der sozialpolitische Sprecher der SPD, Wolfgang Grotheer, beurteilt die Ideen als „sinnvolle Vorschläge“. Die Fraktion „werde sich dafür stark machen, dass Bremen als Bundesland diese unterstützt“. Genaueres könne man noch nicht sagen, da man sich das Kammer-Modell noch anschauen müsse.

Bremen hat im bundesweiten Vergleich besonders viele Kinder, die in Armut leben. Von den 105.000 Kindern unter 18 Jahren im Land Bremen sind nach Angaben der Kammer 31.700 auf ALG II angewiesen. In der Stadt Bremen lebt damit jedes dritte Kind in Armut, in Bremerhaven nahezu jedes zweite. Ursache ist meist eine prekäre Einkommenssituation der Eltern.