„Keine Idealfamilie“

Seit über zehn Jahren gibt es in Bremen die „ThomasMesse“, einen protestantischen Gottesdienst der anderen Art. Der Theologe Heiner Cordes und der Physiker Udo Robra erklären, was das ist

UDO ROBRA, (oben) singt im Gospelchor und arbeitet als Physiker, HEINER CORDES ist Theologe. Gemeinsam engagieren sie sich seit vielen Jahren für die Bremer „ThomasMesse“

Interview: Klaus Wolschner

taz: Herr Cordes, Herr Rodra, „ThomasMesse“, das klingt wie Messe für Zweifler und Ungläubige – also irgendwie paradox.

Heiner Cordes: Das Wort Zweifler ist der eine Bezugspunkt. Vielleicht kommen manche, die sich bemüht haben, es irgendwann drangegeben haben und sich jetzt von uns neu einladen lassen. Bei uns treffen sie auf offene Strukturen, wo sie nicht nur passiv berieselt werden.

Sie meinen die „Offene Phase“?

Heiner Cordes: Wir nennen das Gebetsphase. Da können sich die Besucher im Dom bewegen und orientieren. Es gibt eine Ecke, wo man Gespräche führen kann mit Seelsorgern, einen Meditationsaltar, wo man Ruhe findet, und es gibt einen Tisch, an dem Gebete aufgeschrieben werden können, die später vorgetragen werden, wenn man das wünscht. Regen Zulauf haben wir zu den Segnungspunkten. Das hat mich mit meiner protestantischen Tradition anfangs schon sehr gewundert.

Ist das eine feste Form?

Udo Robra: Die Form, die wir hier praktizieren, ist über die zehn, elf Jahre gewachsen. Wir haben am Anfang bestimmte Gebete zum Ankommen, Garderoben-Gebete sagen einige dazu, und es gibt immer einen Verkündigungsteil, meist gestalten den drei oder vier, die sich gemeinsam darauf vorbereiten. Keine Predigt im üblichen Sinne.

Es geht am 1. Weihnachtstag aber schon um die Weihnachtsgeschichte, oder?

Cordes: Das können wir gar nicht anders machen. Aber unser Weihnachtsgottesdienst steht unter dem Motto: „We are family“. Das war doch damals in Wirklichkeit eine Patchwork-Familie, würde man heute sagen. Diese jungfräuliche Geburt, das hätte doch etwas von Skandalgeschichte für ein traditionelles bürgerliches Familienbild.

Joseph soll das zuerst nicht witzig gefunden haben.

Cordes: Ja, der musste sich erst durchringen, das zu akzeptieren. Es ist nicht die Idealfamilie, die viele gerade an Weihnachten zu restaurieren versuchen.

Es gab in Bremen mal einen Pfarrer, der sagte: Abendmahl – da setzen wir uns sonntags um 10 Uhr in der Kirche um einen großen Tisch mit Weißbrot und Marmelade. Wie machen Sie das?

Robra: Das Abendmahl bei uns ist ein großes, gemeinschaftliches Gefühl. Wir reichen es mit Traubensaft und richtigem Brot.

Ohne Talar?

Robra: Es gibt keine besondere Kleidung, aber die Mitglieder des Vorbereitungs-Teams haben einen weißen Schal.

Cordes: Die Thomasmesse lebt nicht nur von den Gottesdiensten, sondern auch ganz stark von den Vorbereitungsgruppen. Jeder ist dazu eingeladen, wir haben eine lange Liste von Aufgaben, die verteilt werden.

Die „ThomasMesse“, immer am letzten Sonntag des Monats um 18 Uhr im Dom, ist ein kreativer, „lebendiger“ Gottesdienst, der besonders fragende Christen, im Glauben Zweifelnde, frustrierte Kirchgänger und Gottesdienstmuffel ansprechen will. Ein Gottesdienst zum Mitmachen, der geprägt ist von neuen Liedern, eigenen und neuen Gedanken, einem Abendmahl zum Anfassen und der Gelegenheit zum Beobachten, Einfühlen, langsamen Annähern. In der „offene Phase“ werden für die Besucher im gesamten Kirchengebäude Angebote gemacht. Getragen wird die ThomasMesse von einem „Vorbereitungskreis“. Die meist von Laien vorgetragenen „Verkündigungstexte“ der letzten zehn Jahre sind unter www.thomasmesse-bremen.de nachlesbar. Die Idee kommt aus Finnland, 1993 kam sie nach Deutschland. Ein gewisses katholisches Pendant bietet in Bremen die „Stadtgemeinde Johannes XXIII.“, die zur selben Zeit (25. 12., 18 Uhr) in der Laurentius-Kirche in der Stellichter Straße 8 ihren „Lehrhausgottesdienst“ mit Hanns Kessler feiert. taz

Und Stefan Reiß macht die Musik?

Cordes: Ja, der hat einen Chor von Kindern und Jugendlichen und die singen regelmäßig bei uns. Das macht uns sehr viel Freude.

Findet die Thomasmesse auch in anderen Kirchen statt?

Robra: Wenn im Dom Konzert ist, ja. Sonst eigentlich nicht. Wir haben eine richtig gute Gastfreundschaft von der Domgemeinde. Und wir sind sehr gerne im Dom. Wir waren mal in „Unser Lieben Frauen“ wegen eines Konzertes, aber diese Kirche ist im Grunde zu klein für uns. Wir sind es gewohnt, viel Platz zu haben und uns in den Seitenkapellen und Ecken des Doms zu verteilen in der offenen Phase.

Was erwartet einen Besucher am kommenden Dienstag?

Cordes: Ein Weihnachtsgottesdienst, der der festlichen Stimmung Rechnung trägt. Es gibt ganz viele Menschen, die damit alleine sind Weihnachten. Das Spirituelle ist ja nicht nur der Zugang zu dem, was wir mit „Gott“ bezeichnen. Es geht auch um die Verbindung untereinander.

25. Dezember, 18 Uhr, Bremer Dom