„Ich bin kein Schauspieldirektor“

Christian Pade, Hausregisseur am Bremer Theater, erläutert sein Selbstverständnis, verwahrt sich gegen falsche Erwartungen und erklärt, warum er Imre Kertész’ Dossier K. heute auf die Bühne bringt

CHRISTIAN PADE, Jahrgang 1962, ist seit Beginn der Spielzeit Hausregisseur am Bremer Theater, Gast an allen wichtigen deutschen Sprechtheatern, seit 2004 auch als Opernregisseur tätig. In Bremen inszenierte er bisher Schillers Wilhelm Tell und Tankred Dorsts Künstler (UA)

INTERVIEW VON BENNO SCHIRRMEISTER

taz: Herr Pade, wird Ihre Imre Kertész-Inszenierung jetzt Kult oder Avantgrarde?

Christian Pade: Natürlich beides. Nein, ernsthaft: Sie zitieren da eine PR-Begrifflichkeit. Das ist nicht meine und sie beschreibt für mich auch kein Ziel von ernsthafter Theaterarbeit. Ich glaube zumindest, dass es noch etwas anderes gibt. Auf jeden Fall werden es Abende, die für meine persönliche Arbeitsbiografie sehr wichtig sein werden. Kultig, das finde ich als Ausdruck so Lidl- oder meinetwegen Aldi-artig. Das ist für mich nicht interessant.

Was interessiert Sie denn – gerade an Dossier K .?

Die Fragen. Ich bin sowieso eher der Cunctator...

...also der Zauderer...

...und dieses Buch stellt an einem Brennpunkt der europäischen Geschichte Fragen, die elementar sind, auch fürs Theater: Kann man das begreifen? Wie kann man das begreifen? Und lässt sich das umsetzen? Kertész ist dafür teilweise stark kritisiert worden, dass er diese autobiografische Geschichte fiktionalisiert. Für mich sind gerade diese Übergänge von Fiktion und realer Erinnerung spannend, zwischen dem ‚So war es‘ und dem ‚So kann man es sich vorstellen‘. Das ist essentiell fürs Theater.

Eine Dramatisierung nimmt dem Buch allerdings immer die Intimität. Ist das bei Dossier K. angebracht?

Wir werden eine szenische Lesung machen, keine Dramatisierung. Ich fände es völlig falsch, das durchzutheatralisieren, weil wirklich die intime Qualität des Zuhörens erhalten bleiben muss. Ich will ja nicht die Leute korrumpieren, und mit zwei Darstellern die Biografie verkörpern.

Was spricht dann dafür, das Buch auf die Bühne zu bringen?

Das Buch ist ja selbst dialogisch. Es war ursprünglich ein Interview, das sein ungarischer Verleger mit Kertész geführt und ihm zum Autorisieren gegeben hatte. Kertész hat dann ein zwei Seiten gelesen – und es weggelegt. Und das Interview noch einmal neu mit sich selbst geführt, in manchen Passagen sehr ironisch. Zum Beispiel stellt er sich eine Frage und antwortet darauf: ‚Das ist eine interessante Frage‘. Zwischendurch wird es auch stark emotional, nie sentimental, aber emotional, und dann schlägt es wieder um in ein fatales Verhör. Das sind Spielsituationen. Dann trägt das Buch den Untertitel ‚Eine Ermittlung‘. Dieser Begriff ist auch für Theater sehr passend: Theater ist dafür da, etwas zu ermitteln. Und mit diesem Buch kann man Sachen ermitteln, hoffe ich, die man im Theater sonst nicht kriegt.

Das passt zu Ihrem Selbstverständnis als Zauderer. Aber: Verträgt sich das mit Ihrer eigenen Rolle?

Ich will doch keine Rolle spielen – jetzt nicht in dem Sinne, dass ich bedeutungslos sein möchte. Das nicht. Aber: Ich spüre eine große Ungeduld innerhalb des Theaters, wie auch von außen. Es werden zu viele Antworten verlangt. Ich habe aber noch mehr Fragen.

Bloß muss man auf der Bühne schon ein bisschen plakativ sein. Selbst wenn man fragt.

Die Fragestellung muss klar sein, sonst sieht es nach Ratlosigkeit aus, ja. Aber plakativer? Ich habe auch den Eindruck, dass in Bremen – ich beklage mich nicht, ich bin auch nicht beleidigt; klar war ich verletzt, und gekränkt und so weiter von den Kritiken, aber darum geht es nicht – aber ich habe den Eindruck, dass in Bremen die entsprechenden Sensorien nicht offen sind. Noch nicht offen sind. Bestimmte Sachen kann man aber nicht deutlicher machen. Oder klar, man kann’s. Aber dann evoziert man falsche Antworten und es geht zu viel Subtext flöten.

Man sieht Sie als Schauspieldirektor und erwartet eine Ansage: Wohin soll’s gehen mit dem Schauspiel Bremen?

Ich bin aber kein Schauspieldirektor. Ich bin Hausregisseur und Mitglied der Theaterleitung. Ich bin auch nicht der Experte für knallige Inszenierungen. Und wer die Erwartung hat, mit Pade kommt junges Theater nach Bremen, der liegt einfach falsch. Ich bin der älteste im Leitungsteam. Ich habe auch nicht vor, Bremen einen Stil aufzudrängen. Ich mache der Stadt ein Angebot...

bloß: Wenn es keiner annimmt?

Dass eine Stadt mit solchen Finanzproblemen wie Bremen wissen muss, ob jemand hingeht, ins Theater, oder nicht, das ist mir schon klar. Ich habe auch nicht vor, Bremen mit meinen Fragen so lange zu penetrieren, bis keiner mehr kommt.

Welchen Fragen denn?

Kein solipsistischer Umgang mit meinen geheimen Seelenregungen jedenfalls. Die Fragen des Theaters müssen mit dem gesellschaftlichen Umfeld zu tun haben, mit dieser Stadt.

Was beschäftigt Sie in Bremen?

Ich schaue auf Bremen als Fremder und ich finde das Bild der Stadt ausgesprochen unklar: zum Beispiel, ob es eine reiche oder arme Stadt ist. Hamburg ist in dieser Beziehung härter und klarer, München verlogener - und Bremen irgendwie unsauber. Nicht koscher. Es ist, als geschehe alles ganz weit weg und man habe nichts damit zu tun. Warum zum Beispiel spricht in Bremen niemand über Kevin?

Na, das ist nicht wahr...!

Doch, gerade: Nehmen Sie den Fall Jessica in Hamburg. Der hatte in Hamburg eine intensive künstlerische Resonanz. In Bremen, zum Fall Kevin – nichts bisher. Da sind wir dran.

Imre Kertész, Dossier K. Premiere heute, 20.30 Uhr, Brauhauskeller