heute in bremen
: „Die Wunde zeigt, wer wir sind“

Ein Dialog über Beuys und den Schamanismus zeigt Prinzipien von Heilungsprozessen auf

Kann man überhaupt von dem Schmanismus sprechen?

Annelie Keil, Soziologin und Gesundheitswissenschaftlerin: Nein. Ich sehe das als eine weltweite völkerkundliche und spirituelle Tradition, die sich nicht nur für die körperliche, sondern vor allem für die seelische und soziale Gesundheit des Menschen interessiert. Das was die esoterische Szene daraus macht, halte ich für einen spirituellen Imperialismus mit okkulten Traditionen.

Manche sagen, auch Joseph Beuys war ein „selbst ernannter Schamane“.

Das finde ich unsinnig. Nach seinem Flugzeugabsturz in der Mongolei war er sehr fasziniert davon, wie andere Heilkulturen mit der Erde, mit Verletzungen umgehen. Beuys hat in der Folge immer wieder gefragt, inwieweit das, was wir Wirklichkeit nennen, immer wieder in Zweifel gezogen werden muss.

Also ohne Schamanismus kein Beuys?

Das glaube ich nicht. Aber nehmen Sie mal das Werk „Wie man dem toten Hasen die Bilder erklärt“: Da tut Beuys etwas, was auch Kinder machen, wenn sie einen Freund verloren haben: Sie fangen an, mit dem Toten zu reden. Sie erklären ihm das Leben – und öffnen so den inneren Dialog mit sich. Die Frage ist, wie schließt man eine innere Wunde? Da sagt Beuys: Man muss sich selbst die Wunde zeigen. Das ist auch ein Blickwinkel des Schamanismus. Und auch ich als Wissenschaftlerin sage: Es gibt nichts anderes als Selbstheilung.

Ist Beuys ein „Repräsentant des Schamanismus“?

Beuys hat ein auch schamanisches Prinzip verstanden, das jeder Heilung zugrunde liegt: die Selbstreflektion. Die Wunde zeigt, wer wir sind.

Fragen: Jan Zier

19.30 Uhr, Haus im Park