Prozess wäre zu viel Aufregung

RECHT UND GESETZ Nicht verhandlungsfähig, aber arbeitsfähig – der „Casemanager“ von Kevin muss nicht vor Gericht, kämpfte aber um seinen Arbeitsplatz

Der „Casemanager“ von Kevin ist verhandlungsunfähig, aber nicht arbeitsunfähig, Das hat der Amtsarzt festgestellt – und damit eine neue Debatte losgetreten. „Ich erwarte, dass die Staatsanwaltschaft auf die neue Entwicklung reagiert und alle Möglichkeiten nutzt, die Schlüsselfigur für das Amtsversagen doch noch vor Gericht zu bringen“, fordert die stellvertretende Vorsitzende der CDU-Bürgerschaftsfraktion Dr. Rita Mohr-Lüllmann.

„Wünschen kann man viel“, sagt dazu der Sprecher des Landgerichtes, Torsten Prange. Bei dem Gericht hatte sich die CDU-Politikerin offenbar nicht erkundigt. „Wir haben zwei hochkarätige Sachverständige beauftragt“, sagt Prange, dem Vernehmen nach von der Universität Münster. Und die hätten nach einer sorgfältigen Diagnostik in zwei unabhängigen Gutachten „zweifelsfrei und übereinstimmend“ die Verhandlungsunfähigkeit des Fallmanagers festgestellt. Es geht nicht schlicht um Bluthochdruck, wie der Verteidiger des Amtsvormundes einmal gesagt hat, sondern um eine unmittelbare Gefahr für Leib und Leben im Falle einer ihn aufregenden Verhandlung. „Daran kommen wir nicht vorbei“, sagt der Gerichtssprecher.

Bei der Sozialbehörde sieht man nach der Entscheidung des Amtsarztes nun kaum eine andere Wahl als ihm eine Stelle zuzuweisen – eine im „internen“ Verwaltungsbereich soll es aber sein, betonte die Behördensprecherin Petra Kodré. Das Amt für Soziale Dienste hatte sich im Mai bemüht, vom Gericht die Gutachten zu erhalten, bekam aber keine Antwort. Den Unterschied der Diagnosen kann man sich in der Sozialbehörde nicht erklären, hat aber auch bisher keinen Einblick nehmen können.

Warum bekommt das Amt oder zumindest der zu Vertraulichkeit mit Patientendaten verpflichtete Amtsarzt nicht die Expertengutachten? „Ich wüsste nicht, was einer Amtshilfe im Wege stehen könnte“, sagt dazu der Gerichtssprecher.

Ein Disziplinarverfahren war gegen den 58-jährigen Fallmanager nicht eingeleitet worden, weil er fristlos gekündigt werden sollte. Die fristlose Kündigung scheiterte aber am Veto des Personalrates. Danach war der Fallmanager bei vollen Bezügen für zwei Jahre vom Dienst freigestellt worden – das Amt wollte erreichen, dass er seiner Frühpensionierung zustimmt und beauftragte schließlich den Amtsarzt mit einem Gutachten. Das ergab, anders als erwartet, dass der Betroffene offenbar ohne Einschränkungen arbeitsfähig ist. Das Verfahren gegen den Amtsvormund war am Tag zuvor gegen eine Geldbuße von 5.000 Euro eingestellt worden, er trägt dazu seine Prozesskosten, die ein Mehrfaches davon ausmachen. Das hatte die Frage aufgeworfen, warum eigentlich der Fallmanager nicht belangt wird.

„Es schreit zum Himmel, dass diejenigen, die am dichtesten an Kevin dran waren, nichts zur Aufklärung beitragen und sich damit nicht ihrer Verantwortung stellen“, erklärte Mohr-Lüllmann. Schon im Untersuchungsausschuss habe der Fallmanager nicht ausgesagt. „Alle Ermittlungen haben ergeben, dass er eine Mitverantwortung für den Tod des kleinen Jungen trägt. Ein ‚Schwamm drüber‘ gibt es für uns in diesem Fall nicht.“ kawe