Der Tsunami ist noch nicht verebbt

Jahrestag II Michael Dwelk aus Fischerhude überlebte an Thailands Küste die Tsunamikatastrophe von 2004. In „Angekommen in der Gegenwart“ notierte er, wie er seither das Trauma zu bewältigen versucht

Selbst kleinste Impulse „wie ein gutgemeinter Klaps oder ein unbedachtes Wort“ lösten bei ihm Flashbacks aus, die so intensiv und real wirkten wie Halluzinationen.

Am 1. Weihnachtstag vor sechs Jahren traf ein Tsunami auf die ostasiatische Küste und tötete über 220.000 Menschen. In den Nachrichten wurde gestern kurz daran erinnert, 2004 ist heute schon Geschichte.

Unter den Opfern waren auch deutsche Touristen. Einige wurden verletzt, aber sie überlebten. Einer davon ist Michael Dwelk, ein Osteopath, der in Fischerhude bei Bremen wohnt und zur Zeit des Unglücks 44 Jahre alt war. Dwelk hatte sogar „doppelt Glück“, denn auch seine Lebensgefährtin wurde von der Welle erfasst und kam trotzdem mit dem Leben davon.

In Geschichten über solche Katastrophen freuen sich die Überlebenden meist über ihre Rettung, und ihr Leben geht danach „normal“ weiter. Doch Michael Dwelks Erfahrungsbericht „Angekommen in der Gegenwart“ macht eindrücklich klar, dass dies für viele nichts weiter als eine Illusion ist.

Für die Schilderung des Aufpralls der Welle, seines Schwimmens in ihr und seiner Rettung durch die Gäste eines Hotels, in dessen Nähe er angeschwemmt wurde, braucht Dwelk gerade mal 13 Seiten, ein knappes Zehntel seines Buches. Ausführlicher sind seine Beschreibungen des Chaos nach dem Flutunglück, seiner Schmerzen während der Transporte zu diversen Krankenhäusern in Thailand und schließlich seine Reise zurück nach Deutschland.

Hier enden für gewöhnlich die Zeugnisse der Überlebenden von Katastrophen, aber Dwelk beginnt nun den zweiten Teil des Buches, und dieser ist viel schockierender als die sachliche Schilderung seiner äußeren Verletzungen.

„Der Tsunami hat mich nicht nur körperlich, sondern auch seelisch durcheinander gewirbelt“, so beschreibt Dwelk sein Trauma. Zwar hatte er auch schwere Verletzungen, die lange Krankenhausaufenthalte nötig machten und Lähmungen einzelner Glieder hinterließen.

Doch seine psychischen Veränderungen nach dem Unglück schildert Dwelk als viel tiefgreifender und tragischer. Natürlich bedingen sich beide Arten der Verletzungen gegenseitig: Seine berufliche Existenz ist zerstört. Da er selbstständig war, ist er auch finanziell ruiniert und in einigen Absätzen des Buches beklagt er sich bitter darüber, wie Politiker Hilfe zusagten und kaum etwas daraus folgte.

Versicherungen versuchten, sich um Zahlungen zu drücken und bei der Berechnung seiner Gesamtbehinderung „50 Prozent Rheuma, 50 Prozent Knie- und Fuß-Verletzung und 50 Prozent Posttraumatische Belastungsstörung“ seltsamerweise zu nur 90 Prozent zusammen addierten. Dwelk stürzt dies in Existenzängste und Depressionen. Viel schwerwiegender und auch mysteriöser war die Veränderung seiner Persönlichkeit durch das Trauma.

Sein ganzes Sein und Denken wurde nur noch von dem Unglück und seinen Folgen beherrscht. Selbst kleinste Impulse „wie ein gutgemeinter Klaps oder ein unbedachtes Wort“ lösten bei ihm Flashbacks aus, die so intensiv und real wirkten wie Halluzinationen.

Schließlich verlor Dwelk jeden Lebenswillen und plante ernsthaft, sich umzubringen: „Ich nahm meine Umwelt und mich selbst nur bruchstückhaft und durch einen Schleier war.“ Mit diesem Elend eines posttraumatischen Belastungssyndroms musste er zwei Jahre lang leben, bis 2007 durch langwierige Therapien, die Unterstützung von Freunden und seinen starken Willen eine Wende einsetzte.

Sein kürzlich erschienenes Buch zeugt nicht nur von diesem Heilungsprozeß, sondern ist auch Teil von Dwelks stetigen Bemühungen, sich selbst zu therapieren. Er arbeitete zwischen 2009 und 2010 daran, doch viele Verlage sagten ab. Schließlich brachte Dwelk es am Ende im Eigenverlag bei „Books on Demand“ heraus. Mit seinem streckenweise predigenden Tonfall ist das Werk keine literarische Entdeckung. Doch der Leser erfährt sehr eindrucksvoll, wie grundlegend sich ein Leben ganz plötzlich durch ein Trauma verändern kann – und welche Heilungskräfte in uns schlummern. Wilfried Hippen

„Angekommen in der Gegenwart“, Michael Dwelk, www.booksondemand.de, auch im Buchhandel zu bestellen, 11.90 Euro