„Der Krüppel ist ein Mann“

Vortrag Eine Kunsthistorikerin hat Darstellungen von Behinderung in der Vormoderne untersucht

■ 31, ist Referendarin in Bremerhaven und studierte zuvor Kunst und Geschichte an der Universität Bremen.

taz: Frau Harms, welche Bilder haben Sie untersucht?

Sarah Harms: Ich habe mir Bilder aus dem Zeitraum 1200 bis 1550 angesehen, die Leben und Legenden von Heiligen zeigen und mich dabei auf Darstellungen von Menschen bezogen, die Merkmale eines „deformierten Körpers“ zeigen. Also keine Blinden, Besessenen oder Menschen mit einem monsterhaften Aussehen, sondern ausschließlich solche, deren Gliedmaßen fehlen, verdreht oder missgestaltet sind.

Und davon gibt es viele?

Oh ja, deshalb habe ich auch diese Auswahl getroffen, es wären sonst einfach zu viele. Ich kenne jetzt 600.

Gibt es ein wiederkehrendes Motiv?

Ja, sehr häufig sind Menschen zu sehen, die Beinschienen tragen, mit deren Hilfe sie über den Boden kriechen. Oder ein Handbänkchen, so dass sie nicht in den Schlamm greifen müssen. Sie stehen im Bild für den hilfsbedürftigen Menschen, meistens im Kontext einer Almosenvergabe oder einer Wunderheilung. Eine archäologische Quelle gibt es übrigens nicht für diese Mobilitätshilfen, wahrscheinlich weil sie aus Holz waren und verrottet sind.

Sind diese Krüppel männlich und weiblich?

Es sind immer Männer. Selbst wenn ein verletzter Mensch dargestellt wird, handelt es sich in den seltensten Fällen um eine Frau. Deformiert werden Frauen nur gezeigt, wenn sie alt sind.

Und gibt es regionale Unterschiede?

Ja. Wenn man zum Beispiel Darstellungen des den Mantel teilenden Heiligen Martin vergleicht, dann ist der nackte Bettler südlich der Alpen nicht deformiert. Nördlich der Alpen hingegen springt das geradezu schockhaft ins Auge.  Interview: eib

11 Uhr, Haus der Wissenschaft, Sandstraße 4/5; die Ausstellung „LeibEigenschaften – Der ‚beschädigte‘ Körper im Blick der Vormoderne“ läuft bis zum 30. April