20 Jahre mit rechten Jugendlichen: Streetwork mit Nazis

Vor 20 Jahren wurde der Verein für akzeptierende Jugendarbeit Vaja gegründet: Aus der Erkenntnis heraus, dass auch rechte Jugendliche von Sozialarbeit erreicht werden

Jubiläumsfeier mit Sprayern: Vaja wurde am Freitag 20. Bild: miba

Akzeptierende Jugendarbeit mit rechten Jugendlichen? Dieses Konzept leuchtet auch 20 Jahre nach seiner Erfindung in Bremen noch nicht allen ein. Als etwa im Mai ein Mitarbeiter des Bremer Vereins Vaja, Verein für akzeptierende Jugendarbeit, in der Universität Oldenburg darüber referierte, wie rechtsextreme Organisationen Jugendliche ködern, saß die örtliche Antifa im Publikum. Und unterstellte Vaja, die rechtsextreme Gesinnung ihres Klientels zu verharmlosen. „Jegliche politische Ideologie wird in der akzeptierenden Jugendarbeit ausgeblendet“, heißt es in einem Text zu der Uni-Veranstaltung auf der Homepage „Oldenburgnazifrei“.

Dino Nieszery seufzt, wenn er solche Vorwürfe hört. „Ich glaube, die wollen es einfach so sehen, manche brauchen klare Feindbilder“, sagt der Sozialarbeiter. Seit 2001 arbeitet der gelernte Werkzeugmacher bei Vaja, seit Oktober vergangenen Jahres gehört er zum Team „Rechte Cliquen“. Mit diesen fing der Verein – der am Freitag sein Jubiläum auf dem Bahnhofsvorplatz feierte – vor 20 Jahren an. Mittlerweile sind Nieszery und seine 18 KollegInnen auch für andere Jugendliche da. Unter anderem für die, die auf der Discomeile feiern, Punks und Migranten.

Seine Zielgruppe, sagt Nieszery, würde sich zunächst nicht von den anderen unterscheiden. Es handele sich bei allen um Jugendliche, die auf der Suche seien und Hilfe bräuchten. „Die haben dieselben Probleme: Mit ihren Eltern, mit der Schule, die wollen Freunde haben, irgendwo dazu gehören und am Wochenende ungestört feiern.“ Diese Bedürfnisse gelte es zu akzeptieren, sagt Nieszery, nicht aber eine menschenfeindliche Einstellung. „Da ziehen wir eine Grenze.“

Die sei erreicht, sobald jemand nicht mehr nur durch eine Affinität zur rechten Szene auffalle – die sich in einem Musik- und Kleidungsstil sowie markigen Sprüchen äußern kann – sondern sich organisiert. „Wenn mir jemand erzählt, er sei der NPD beigetreten, dann sage ich ’Okay, das mach mal drei Monate und guck, was du da willst und dann musst du dich für uns oder die entscheiden‘.“

Akzeptieren heiße außerdem nicht, sich unwidersprochen anzuhören, was jemand an antisemitischen oder rassistischen Äußerungen von sich gibt. „Da gibt es Kontra.“ Um nicht in Argumentationsfallen zu laufen, müsse man entsprechend vorbereitet sein, warnt Nieszery. Das wichtige an diesen Diskussionen sei aber weniger der Inhalt als die Tatsache, dass ein Erwachsener zuhört. „Das kennen die meisten nicht, die erleben es zum ersten Mal, dass sie ernst genommen werden und sich jemand mit ihnen auseinandersetzt.“ Über diese Beziehungsarbeit, sagt Nieszery, sei es möglich, dass die Jugendlichen sich stabilisieren, ihrem Leben andere Inhalte geben und für die Lockangebote der Rechten weniger empfänglich werden. „Das geht aber nicht von heute auf morgen“, dämpft Nieszery die Erwartung.

Der Erfolg der Sozialarbeit lasse sich nicht daran messen, wie viele Jugendliche ihre rechte Gesinnung aufgegeben haben, findet auch Andrea Müller vom Bremer Lidice-Haus, der sich seit den 80er Jahren mit rechten Jugendlichen beschäftigt und den Verein Vaja mitgründete. „Die wurden damals als polizeiliches Problem betrachtet“, sagt der Sozialarbeiter und Supervisor. „Die gesellschaftlich richtige Parole gegen organisierte Rechte ’Kein Meter den Nazis‘ galt damals auch für Jugendliche, die sich davon angezogen fühlten.“ In der Konsequenz seien diejenigen, die in irgendeiner Form „rechts“ auffielen, ausgegrenzt worden. „Die Hoffnung war, dass sich das so austrocknen würde, aber das funktionierte überhaupt nicht.“

Die Gründung von Vaja sollte mit enger fachlicher Begleitung eine Alternative bieten. Für Müller ist das bundesweit bekannte „Bremer Konzept“ aufgegangen: „Ein Erfolg ist, wenn jemand so stark gemacht wurde, dass er sich traut, in den extrem hierarchischen Strukturen Nein zu sagen.“ Oder wenn Mädchen sich aus Beziehungen lösen, die in der rechten Szene von Gewalt geprägt seien, wo Frauen „herumgereicht“ würden. Und nicht zuletzt diene die Arbeit der Prävention, weil so die Mechanismen sichtbar würden, derer sich die Rechten bedienen.

Das alles funktioniere aber nur, wenn die Rahmenbedingungen der Sozialarbeit stimmen, so Müller. In Bremen sei dies der Fall, aber in anderen Regionen fehle es an fachlichen Voraussetzungen und Kontinuität, weil die Projekte nicht langfristig abgesichert seien und MitarbeiterInnen wechselten.

Mit einem Problem hätten aber auch die Bremer zu tun: Die rechten Jugendlichen seien zum einen nicht mehr so leicht an ihrem Kleidungsstil zu erkennen, zum anderen zögen sie sich wie andere Jugendgruppen aus der Öffentlichkeit ins Private und ins Internet zurück. Der Vaja-Streetworker Nieszery bestätigt dies. Sein Team wisse trotzdem meistens, wo es gebraucht werde, sagt er. „Wir fragen einfach andere Jugendliche.“ Derzeit seien sie vor allem in Hemelingen, Marßel, Gröpelingen, Horn und Borgfeld unterwegs. Denn auch bei Mittelschicht-Kids würde die rechte Ideologie ankommen.

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