Stadt der Kringel

STREETFOOD „Einmal Mohn, bitte“: In Krakau liebt man Hefegebäck

Zutaten für sieben: 500 g Weizenmehl, 0,25 l Milch, 25 g Zucker, 35 g Butter, 10 g Salz, 10 g Hefe, 2 Eier, Mohn, Sesam oder grobes Salz zum Bestreuen

Das Rezept: Alle Zutaten miteinander vermischen und 15 Minuten kneten. Danach rund eine Stunde ruhen lassen. 14 Teiglinge abstechen und zu daumendicken Strängen rollen. Je zwei Stränge spiralförmig umeinanderdrehen und die Enden zu einem Ring verbinden. Etwa 30 Minuten gehen lassen. Wasser mit einem EL Zucker in einem großen Topf auf etwa 90 [o]C erhitzen und die Teiglinge darin ein bis zwei Minuten brühen. Herausnehmen, auf einer Seite mit Mohn, Sesam oder grobem Salz bestreuen. Im Ofen bei 200 [o]C 15 bis 20 Minuten backen. Am besten schmecken Obwarzanki, wenn sie noch warm sind.

AUS KRAKAU GABRIELE LESSER

Morgens, wenn die Sonne über den Krakauer Tuchhallen aufgeht, duftet die Stadt nach warmen Hefekringeln. Frühaufsteher stellen sich vor den blauen Verkaufsständen in die Schlange, kramen in ihrer Geldbörse nach 1,50 Zloty, umgerechnet rund 40 Cent, und murmeln, noch leicht verschlafen: „Mit Sesam, bitte“, oder: „Einmal Mohn“.

Die meisten beißen gleich im Weitergehen in den noch warmen und knusprigen Obwarzanek (spricht sich: Ob-wa-schanneck). Dann kann der Tag beginnen.

Gosia Kwiatek, 61, Großmutter von acht Enkeln und seit 15 Jahren Obwarzanek-Verkäuferin, steht mit ihrem Verkaufswagen am alten Königsweg, dem Rundgang durch die Krakauer Altstadt. Hier kommen jeden Tag Tausende Einheimische und Touristen vorbei. Gosia Kwiatek blinzelt durch ihre dicke Brille in die Morgensonne und verscheucht eine besonders zudringliche Taube. Sie sagt: „Ich liebe meine Arbeit.“ Manchmal komme einer ihrer Stammkunden und bringe ihr Blumen. „Einfach so.“ Sie zieht die weiße Schürze über dem dunkelblauen Herbstmantel zurecht. „Die Schürze ist meine Berufskleidung. Sie sieht sauber und adrett aus, so wie in den Wiener Cafés. Das mögen die Leute hier.“

Die Tradition der Krakauer Hefekringels reicht bis ins 14. Jahrhundert. In einem Brief aus dem Jahr 1394 stellte ein Bäcker dem polnischen Königshof „Obwarzanki“ in Rechnung, in kochendem Wasser gebrühte und später im Ofen gebackene Hefekringel. Der Preis: ein Groschen pro Stück.

Das Privileg, Obwarzanki zu backen und zu verkaufen, vergab König Johann I. Albrecht zum ersten Mal im Jahr 1496. Nur die Krakauer durften den Obwarzanki vertreiben, entschied er.

Genau 514 Jahre später war es die Europäische Union, die das Privileg erneuerte und den „Krakowski Obwarzanek“ auf die Liste der EU-geschützten Regionalspezialitäten setzte: Seit dem 30. Oktober 2010 darf das Traditionsgebäck nur noch von Bäckereien der Landkreise Krakau und Wieliczka sowie der Stadt Krakau selbst hergestellt werden.

Anna Perkowska ist Grundschullehrerin. Schon von Weitem winkt sie mit einem tomatenroten Leinenbeutel. „Guten Morgen, Frau Gosia“, sagt sie. „Heute ist Großkauftag. Fünf verschiedene Obwarzanki bitte, eine große Salzbrezel und eine Schnur mit Bubliki.“ „Was haben Sie denn vor?“, fragt Gosia Kwiatek. „Ich will mit den Kindern heute die Krakauer Spezialitäten durchnehmen“, sagt die Lehrerin. „Die früher christlichen Obwarzanki und jüdischen Bejgel, die ja beide etwa gleichzeitig in Krakau entstanden sind, dann die Bubliki aus Litauen, der Ukraine und Russland, und natürlich auch die Precel, die die Siedler und Kaufleute aus Schwaben nach Krakau brachten.“ Sie legt umgerechnet etwa 3 Euro in den kleinen Weidenkorb. „Bejgel habe ich vorhin auch schon gekauft“, sagt sie. „In Kazimierz, in der Bar Bagelmama.“ Kazimierz ist das alte jüdische Viertel.

Gosia Kwiatek beginnt sich in den Hüften zu wiegen und singt mit kratziger Stimme: „O Bublitschki, kauft warme Bublitschki, laj, laj, laj.“ Die Lehrerin wirft ihr im Weggehen eine Kusshand zu: „Frau Gosia, Sie sind großartig. Bis morgen!“

Wie viele Obwarzanki jeden Tag in Krakau und Umgebung verkauft werden, ist unmöglich herauszubekommen. 150.000? 200.000? Diese Zahlen kursieren seit Jahren. Doch seit Franciszek Szubert, einer der Großbäcker Krakaus, mit der Tradition der handgeformten Hefekringel brach und maschinell gedrehte anbot, muss sich die Zahl zumindest verdoppelt haben. 2010 brach seinetwegen sogar ein regelrechter Bäckerkrieg in Krakau aus.

„Produktfälschung“ warfen die erbosten Traditionsbäcker dem Konkurrenten mit den Maschinen und der Backstraße vor. Doch das Gericht stellte das Verfahren ein. Szubert verkaufe gar keine „Krakauer Obwarzanki“, hieß es. Er biete „Szuberts Obwarzanki“ an – keine geschützte Regionalspezialität.

Gosia Kwiatek winkt ab. Das habe keine Bedeutung, „ein Sturm im Wasserglas“, sagt sie. „Im Landkreis Krakau gibt es rund ein Dutzend Obwarzanki-Bäcker. Die einen backen so, die anderen so.“ Die Unterschiede seien nicht sehr groß. Selbstredend behaupten aber alle Verkäufer, für den besten Bäcker zu arbeiten, den es gibt. „Ich auch!“, sagt sie und lacht. „Und dazu hat meiner noch einen großartigen Namen. Er heißt Pablo. Pablo wie Picasso.“

Die Essecke: Unsere Korrespondenten erzählen hier jeden Monat, was in ihren Ländern auf der Straße gegessen wird. Philipp Maußhardt schreibt über vergessene Rezepte, Sarah Wiener komponiert aus einer Zutat drei Gerichte und Jörn Kabisch spricht mit Praktikern der Küche