Der Gastrotrend des Jahres: „Es lebe der König“

Streetfood führt die Menschen zusammen, ist nichts für Wichtigtuer – und damit hochdemokratisch, sagt der Foodstylist und Autor Stevan Paul.

Unsterblich, egal ob fast oder slow: der Hamburger. Bild: ap

taz: Herr Paul, Sie sagen, Streetfood ist der gastronomische Trend des Jahres 2014.

Stevan Paul: Und ich glaube, er wird auch noch länger anhalten und wachsen.

Warum das?

Streetfood spiegelt ein neues Lebensgefühl, eine gesellschaftliche Entwicklung. Da kommen mehr Dinge zusammen. In unserer beschleunigten Zeit muss es oft schnell gehen mit dem Essen, gleichzeitig sind die Ansprüche an die Ernährung höher. Also gibt es immer mehr, die sich fragen, wie man aus Fast Food Good Food machen kann.

Ist das nicht einfach nur Currywurst in neuem Kleid?

Die alte Imbisskultur lebt davon, dass die Currywurst in Hamburg so schmecken soll wie in München. Davon unterscheidet sich das, was man an Marktständen, mobile Garküchen und Foodtrucks bekommt, diametral. Da ist viel Leidenschaft unterwegs. Die kreative Vielfalt ist enorm.

Ausgerechnet bei Gerichten, mit denen man sich dann am Stehtisch die Finger schmutzig macht?

Wichtig ist: Streetfood überfordert niemanden. Jeder versteht die Idee von einer Frikadelle zwischen zwei Brothälften. Streetfood zieht keine Wichtigtuer an wie noch vor ein paar Jahren die Molekularküche. Eigentlich ist dieser Trend also hochdemokratisch. Und da ist noch ein anderer Aspekt: das Gesellige. Wir haben immer mehr Single-Haushalte. Und niemand isst gern alleine. Die Ernährung wird immer mehr ausgelagert. Streetfood ist meiner Ansicht nach Ausdruck dieses Trends. Da steht niemand mehr allein am Stehtisch. Man trifft sich mit Kollegen, mit Freunden – zum Beispiel in der Markthalle Neun in Berlin-Kreuzberg. Oder auf Streetfood-Festivals. Diese Märkte sind die neuen Restaurants, nur unprätentiöser.

Warum gibt es gerade beim Essen diesen Trend gegen die Individualisierung?

Weil Essen sinnlich ist. Und ich finde es ganz spannend, dass sich Wissenschaftler inzwischen damit beschäftigen. Die Trendforscherin Hanni Rützler spricht in dem Zusammenhang schon von der Küche als Third Place. Es gibt die Arbeit, die Wohnung, aber das Kochen wird ausgelagert. Da gibt es inzwischen den Begriff des Communicookings. Jamie Oliver macht das zum Beispiel in London. Der hat einen Laden aufgemacht, das Recipease. Man kann dort einen Kochkurs buchen, allein oder zusammen mit Freunden kochen. Es geht darum, sich zu treffen und nicht mehr allein zu sein mit seinem Genuss. London ist da überhaupt sehr weit vorne. Es gibt inzwischen auch Fleischereien, wo man selbst wursten und anschließend die selbst gemachten Würste zusammen essen kann. Das finde ich den Knaller.

Sie sagen, Streetfood ist ehrlich. Das gilt aber auch für die gute, alte Currywurst.

Natürlich, genau betrachtet ist das ein alter Hut. Menschen haben schon immer gern auf der Straße gegessen, egal aus welchen Gründen: Weil sie hungrig waren oder neugierig. Oder weil Zeit, Platz oder Geld fehlte, um selbst zu kochen. Da müssen Sie nur nach China blicken oder in den Orient, da gibt es immer noch ganze Straßen voll mit Garküchen. Beim Streetfood kann man eben mit eigenen Augen verfolgen, wie jede individuelle Portion zubereitet wird. Gibt es was Ehrlicheres?

Seltsam, dass in Deutschland die Imbiss-Kultur neu erfunden werden muss?

Ja, denn Deutschland hat einen großen Anteil an der internationalen Streetfood-Kultur: Der Hamburger, der Hotdog – neben der Brat- und Brühwurst haben die großen Klassiker der amerikanischen Imbisskultur alle ihre Wurzeln in Deutschland.

Ist der Hamburger der König des neuen Streetfood?

Das kann man sagen.

Weil er der König des alten Fastfood war?

Sie meinen: Der König ist tot, es lebe der König? Ganz sicher. Den Return of the Burger kann man schon seit zwei Jahren beobachten, nicht nur in den Großstädten. Dann stürzten sich die Foodblogger auf das Thema, und auf einmal wurde das, was bislang nur Fastfood-Filialisten interessierte, wieder salonfähig.

Was macht den neuen Burger aus?

Es ist schon ein großer Unterschied, wenn man auf den Scheiblettenkäse verzichtet und wirklich gutes Fleisch nimmt. In der Szene geben sich alle unheimlich viel Mühe. Da wird jede einzelne Zutat hinterfragt und im Zweifel selbst hergestellt. Die Leute sind politisch, die denken global, kaufen und stellen aber regional her.

In Ihrem neuen Kochbuch „Auf die Hand“ machen auch Sie nicht beim Burger Halt.

wuchs in Ravensburg auf, wo er 1988 bei Sternekoch Albert Bouley in die Lehre ging. Heute lebt der 45-Jährige in Hamburg. Dort stylt er Gerichte für Fotos, entwickelt Rezepte, bloggt und schreibt Kochbücher – zuletzt erschien „Auf die Hand“ im Brandstätter Verlag.

Weil ich glaube, dass er nur der Anfang ist. Und die Entwicklung gibt mir mittlerweile recht.

Warum soll man Streetfood in die eigene Küche holen? Ist das nicht ein Widerspruch zu allem, was wir beredet haben?

Noch ist Streetfood ein zartes Pflänzchen. Aber diese Küche ist extrem alltags- und partytauglich. Warum also nicht?

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