Abschied vom Wachstumszwang

PARADIGMENWECHSEL Die Gemeinwohl-Ökonomie setzt auf andere Werte als maximale Rendite – und erhofft sich damit weniger Abhängigkeit von Wirtschaftskrisen

Unternehmen, die sich von der schnellen Rendite lösen, können langfristiger planen

VON BERNWARD JANZING

Hilflos sind sie – allesamt. Die Zentralbanken, die den Leitzins niederknüppeln, um die Menschen zum immer exzessiveren Geldausgeben zu animieren. Die Staaten, die Konjunkturprogramme auf Pump finanzieren, obwohl sie bereits heillos verschuldet sind. Die Firmen, die so organisiert sind, dass schon stagnierende Umsätze als schwere Krise erscheinen.

Es ist ein ständiges Lechzen nach Wachstum. Doch einige Unternehmen wollen dieses Spiel inzwischen nicht mehr mitmachen. Sie wollen sich befreien von den Zwängen der Wachstumswirtschaft und haben auch ein Gegenmodell parat: die „Gemeinwohl-Ökonomie“, entworfen in Österreich.

Sie basiert auf mehreren Säulen. Vor allem sollen die Erträge einer Firma dem jeweiligen Unternehmen und seinen Beschäftigten dienen – und nicht das Vermögen externer Kapitalgeber mehren. Dazu brauchte es eine hohe Eigenkapitalquote.

Aber das ist es natürlich nicht alleine. Ein sparsamer Umgang mit knappen Ressourcen, faire Beziehungen zu den Kunden und eine demokratische Firmenstruktur gehören auch dazu, ebenso wie die Begrenzung der Einkommensunterschiede im Unternehmen.

Der Kerngedanke: Die Unternehmen werden auf diese Weise widerstandsfähiger gegenüber Turbulenzen der Globalwirtschaft. Man spricht von Resilienz. Der Verein zur Förderung der Gemeinwohl-Ökonomie in Wien ist davon überzeugt, dass in solchen Unternehmen, die andere Werte kennen als eine größtmögliche Kapitalrendite, der Druck schwindet, permanent wachsen zu müssen.

Vater des Konzepts ist der Wiener Publizist Christian Felber. Er verweist darauf, dass die Gemeinwohl-Ökonomie agiere, „ohne in die historischen Extreme Kapitalismus und Kommunismus zurückzufallen“. Stattdessen prägt eine unideologisch-pragmatische Sichtweise das Konzept.

Rund 1.700 Unternehmen, vornehmlich aus Deutschland und Österreich, haben sich bereits zu diesem Prinzip bekannt (darunter die taz, die derzeit eine Gemeinwohl-Bilanz ihrer Arbeit erstellt). Und auch fast 6.000 Privatpersonen. Aber: Wie funktioniert das in der Praxis? Warum hoffen die Firmen, durch Gemeinwohl-Prinzipien robuster zu sein in Zeiten ökonomischer Turbulenzen?

Erstens können sie langfristiger planen, wenn nicht Kapitalgeber eine schnelle Rendite und ständig steigende Quartalserträge einfordern. Zugleich können Unternehmen, vom Druck der Investoren befreit, ihre optimale Größe anstreben und halten. Und schließlich – so sind die Vertreter des Konzeptes überzeugt – könne sich in einem Unternehmen, das ökologische und soziale Kriterien beherzigt „Wertschätzung und Fairness sowie Kreativität und Kooperation besser entfalten“.

Das Spektrum der Unternehmen, die sich inzwischen der Gemeinwohl-Ökonomie verbunden sehen, ist groß. Von der Lebensmittelbranche (etwa die Sonnentor Kräuterhandels GmbH oder die Biobäckerei Märkisches Landbrot) bis zu Handwerksbetrieben, Handelsunternehmen und Dienstleistern reicht das Spektrum. Zu den größten Unternehmen zählt die Sparda Bank München.

Die Unternehmen erstellen eine Gemeinwohl-Bilanz, indem sie ihren Geschäftsbetrieb unter verschiedenen Gesichtspunkten analysieren. Sie betrachten Aspekte, wie etwa die ökologische und soziale Gestaltung der Produkte und Dienstleistungen, die innerbetriebliche Demokratie und Transparenz, die Gewinnverteilung und die Solidarität mit Mitunternehmen.

Die Bilanzen sind zum einen ein neues Instrument der Transparenz: Nachdem Nachhaltigkeitsberichte von Firmen heute allzu oft zu reinen Marketingbroschüren verkommen sind, will die Gemeinwohlbilanz wieder handfeste Inhalte liefern. Aber die Bilanzen sind zugleich auch eine hilfreiche Analyse des eigenen Betriebs – ein Schritt des autodidaktischen Lernens. „Man erkennt dadurch, wo man steht“, sagt Martina Fuchs-Buschbeck von der Oktoberdruck AG in Berlin, die auch eine solche Gemeinwohl-Bilanz erstellt hat.

Die Druckerei hat sich bereits eine Reihe von Zertifizierungen erarbeitet, etwa das europäische Umweltsiegel nach Emas oder das FSC für Holzprodukte aus verantwortungsvoller Waldwirtschaft. Doch das Gemeinwohl-Konzept sei „die weitestgehende und ganzheitlichste Zertifizierung von allen“, sagt Fuchs-Buschbeck. Und fügt hinzu: „Das ist nicht nur etwas für Firmen, das kann jeder tun.“ Sie selbst habe es auch privat schon getan.

Auch Vordenker Felber hat seine eigene Gemeinwohl-Bilanz längst erstellt. „Ich versuche, möglichst wenige Dinge zu besitzen“, heißt es darin zum Beispiel. Er komme ohne Auto, Fernseher, Tiefkühltruhe, Wäschetrockner, iPod oder Mikrowelle aus – denn auch ein geringer Rohstoff- und Energieverbrauch ist Teil der Gemeinwohl-Ökonomie. „Bücher kaufe ich seit einigen Jahren nicht mehr bei Amazon, sondern in meiner Hausbuchhandlung“, schreibt er; das spare nicht nur private Postzustellungen und Einzelverpackungen, es stärke auch die lokale Wertschöpfung.

Es sind viele solcher Details, mit denen Privatbürger und Unternehmen die Wirtschaft umbauen wollen – wieder in Richtung regionaler Wirtschaftskreisläufe mit einem möglichst kleinen ökologischen Fußabdruck. Und das alles auch durchaus im eigenen Interesse, nämlich um ökonomische Widerstandskraft zu erlangen.

Und so erhält die Gemeinwohl-Ökonomie derzeit regen Zulauf – umso mehr, je hilfloser Akteure der etablierten Ökonomie nach Wachstum gieren, das sie faktisch immer weniger erzielen können.

www.ecogood.org