Die gute Hefe

Tunix war nicht nur Treffpunkt für Spontis und die undogmatische Linke, sondern auch für jenen Teil der längst aufblühenden alternativen Szene, der mit konkreten Projekten eine – eben! – alternative Ökonomie aufzubauen begann. Was heute mit Biofood und Fairtrade gewaltig Karriere macht, nahm seinen Anfang in den frühen bis mittleren Siebzigern.

„Das waren die Softies für die militante Linke“, erinnert sich einer der Tunixorganisatoren, „Müslifresser – aber wir wollten niemanden ausschließen.“ Wie freundlich! Das eigentlich in der Lebensreformbewegung Anfang des 20. Jahrhunderts wurzelnde Thema von der guten Naturkost hatte schon in den Sechzigern langsam an Popularität gewonnen. Hippies – sie waren es, die es auf vollwertige und chemikalienfreie Lebensmittel abgesehen hatten.

In der Folge entstanden in den Siebzigern die ersten Naturkostläden, etwa 1972 das Peace Food im damaligen Westberlin, das Schwarzbrot in Hamburg oder das Makrohaus in Münster. „Körner, Flocken, Trockenfrüchte, ein paar makrobiotische Spezialitäten“, so beschreibt Lebensbaumgründer Ulrich Walter das Angebot der Läden der damaligen Gründergeneration. „Naturkost war Programm, nicht Realität.“

Ende der Siebziger waren es alternativ Bewegte wie Hilde Fauland-Weckmann, die aus der Szene eine Branche machten. Die Tunixbesucherin gründete mit ihrem Partner 1979 den Berliner Großhandelsbetrieb Terra, der Waren von Biobauern aus dem Wendland vertrieb. Die Kontakte hatte sie während ihres Politikstudiums an der Freien Universität in Westberlin geknüpft. „Im Hinterraum eines Bioladens im Westberliner Alt-Moabit hatten wir ein Telefon“, sagt Fauland-Weckmann, „es gab ein paar Läden, aber noch keinen Großhandel.“ Das Wendland, so nebenbei, war für Achtundsechziger und ihre jüngeren Geschwister (die Tunixe eben) lange vor dem Gorlebener Atommüllzank ein beliebtes Refugium, eine Art Toskana der Frontstadt.

Jedenfalls: Heute beliefert Terra Naturkosthandel 600 Geschäfte in der Region. Bio als Marke ist allenthalben in der Mitte der Gesellschaft angekommen, die Nachfrage übersteigt zum Teil das Angebot. Neben Terra entstanden auch andere große Biomarken in der Zeit: 1974 der Großhändler Dennree, 1976 der Anbauverband Bioland, 1979 der Tee- und Gewürzhändler Lebensbaum sowie der Bioverlag, Herausgeber der Kundenzeitschrift Schrot & Korn; der Augsburger Naturkostladen Rapunzel wird zum Großhändler, heute ist er eines von Deutschlands größten Biolebensmittelunternehmen.

Doch nicht nur Bio nahm Ende der Siebziger Anlauf. Linke Aktivisten gründeten Kulturzentren wie die Berliner UFA-Fabrik, auch Druckereien wie Caro-Druck in Frankfurt, wo heute noch eine Teilauflage der taz gedruckt wird, sowie linke Buchläden. Manche Alternativbetriebe scheiterten an der Härte der wirtschaftlichen Realität, andere sind heute etabliert, einige Kollektivbetriebe wandelten sich „von Modellen einer sozialistischen Gesellschaft zu Modellen des Überlebens“, so der Historiker Arndt Neumann – auch weil konventionelle Unternehmen den alternativen mehr und mehr Konkurrenz machten.

Der Professionalisierungsdruck – die rechnerische Auseinandersetzung mit der echten Welt – führte dazu, dass auch in der Biobranche heute Biosupermärkte statt kleiner Naturkostläden den Markt unter sich aufteilen. Bio ist nicht mehr an linke Fantasien geknüpft, gehört jetzt zu einem Lebensstil, den Marketingleute als Lifestyle of Health and Sustainability (Lohas) preisen. Öko als Lebensstil von Gesundheit und Nachhaltigkeit begriffen – in Hollywood hat dieses Label viele Freunde.

Das ist aus der Hefe des Tunixkongresses auch hervorgegangen: Fahrradwerkstätten, Kinos, Bäckereien, Zentren für Alternativmedizin und Wellness, Reiseagenturen. Qualität und Nachhaltigkeit zählen in erster Linie!

Schließlich: Vor 30 Jahren importierten linke Internationalisten Kaffee aus Nicaragua, um dem Land Devisen zu beschaffen. Heute sorgen „soziale Kapitalisten“ wie Ritter-Sport-Eigentümerin Marli Hoppe-Ritter, Studienjahrgang 1967, dafür, dass aus Mittelamerika Biokakao zu uns gelangt. Um die Welt zu verbessern, aber auch, weil der Markt danach verlangt. JAN MICHAEL IHL