Macht Schluss mit Tunix!

Ey, Leute, diese ganze Tunixnostalgie: Ist die eigentlich mehr als Selbstbeweihräucherung und ziemlich unpolitisch?

Gesundes Bioessen galt zwar in den Neunzigern immer weniger als Hirngespinst von Müslizotteln. Aber die Zahl derer, die bereit war, den herrschaftsfreien Kollektivgedanken im Lebensalltag auch zu verinnerlichen, wurde kleiner. Die alternative Szene? Aussterbend!

VON FELIX LEE

Ich hatte in den Neunzigerjahren meine Erfahrungen mit Sitzblockaden gemacht. Ich war durch Chiapas gereist. Einkaufen in einer selbst organisierten Food-Coop war eine Selbstverständlichkeit in unserer Groß-WG. Und die für alle alternativ Bewegten obligatorischen Anders-leben-Seminare in den Kommunen Niederkaufungen und Lutter hatte ich ebenfalls belegt. Und trotzdem: Sosehr die Hinterlassenschaften dieser Veranstaltung mich und viele meiner politischen Weggefährten in meiner Jugend- und Studentenzeit geprägt haben – der Tunixkongress selbst war nie ein Thema.

Das hat keineswegs mit mangelndem Interesse an linker Geschichte zu tun. Von den Massenprotesten gegen die Startbahn West war ich durchaus fasziniert. Bei Erzählungen älterer Genossen von Brokdorf und Grohnde bekam ich leuchtende Augen. Die Beschäftigung mit dem Deutschen Herbst war ein Muss. Der „Aufstieg und Niedergang des SDS“, Adornos Schriften und ein Reader zum Vietnamkongress von 1968 stehen noch in meinem Regal. Einen Reader vom Tunixkongress hatte ich mal vor Jahren in einem linken Antiquariat tatsächlich in den Händen – ich habe ihn gleich wieder in die Grabbelkiste zurückgelegt.

Ich hatte ein ambivalentes Verhältnis zum Tunixkongress, der angeblichen Geburtsstunde der Alternativbewegung. Aufgewachsen in den Achtzigern in einer westdeutschen Kleinstadt, war ich dort durch das alternative Jugendzentrum überhaupt erst sensibel geworden für Themen wie Atomkraft, Feminismus, Kollektivismus, Ernährung und Antifaschismus. Es war genau das linke Gegenmilieu mit all seinen subkulturellen Komponenten, das mich identitätsstiftend von meinen gameboybegeisterten Mitschülern abhob. Doch bald merkte ich: Die abgeschottete Selbstbeschäftigung in großen Teilen dieses Milieus ist auch das eigentliche Problem.

Wusste ich aus Erzählungen, dass der Ausstieg aus bürgerlichen Verhältnissen und die Suche nach alternativen Arbeits- und Lebensmodellen Ende der Siebziger noch von vielen betrieben wurde, war diese Szene anderthalb Dekaden später auf überschaubare Größe geschrumpft. Gesundes Bioessen galt zwar immer weniger als Hirngespinst von Müslizotteln. Aber die Zahl derer, die bereit waren, den Kollektivgedanken auch im Lebensalltag zu verinnerlichen, wurde kleiner. Der Aufbau einer „eigenen schönen und politisch korrekten Welt“ führte in eine unpolitische Sackgasse.

Und so galt es im Zuge meiner weiteren politischen Entwicklung, mich von den Ideen des Tunixkongresses zu emanzipieren – ein weitaus schwierigerer Prozess, als sich mit ihnen anzufreunden.

FELIX LEE, Jahrgang 1975, ist Bewegungs- reporter der Berliner taz-Redaktion