Der schwere Weg zur Gerechtigkeit

UNTERHALTSRECHT Neue Regelungen sollen die Eigenverantwortung der Unterhaltsberechtigten stärken, haben aber ihre Tücken

Für eine Frau mit zwei Kindern ist es extrem schwierig, Vollzeit zu arbeiten

VON MANDY KUNSTMANN

Das Unterhaltsrecht ist eine komplizierte Sache. 2008 wollte der Gesetzgeber Scheidungskinder besser stellen und für Gerechtigkeit zwischen ehemaligen und aktuellen Partnern sorgen. Doch es gibt reichlich Tücken und auch Verlierer, wie ein noch junges Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) zeigt. Pech hatte dabei die neue Gattin. Wenn die Exfrau eines unterhaltspflichtigen Mannes zusätzlich arbeiten gehen muss, entschieden die Richter, kann dies auch dessen neuer Ehefrau zugemutet werden.

Im konkreten Fall hatte sich ein Ingenieur 2003 nach 28 Jahren Ehe von seiner Frau scheiden lassen. Sie war als Reinigungskraft tätig und bekam von ihm Unterhalt, um nicht finanziell schlechter dazustehen als zuvor. Der Mann forderte vor Gericht eine Absenkung der bereits auf monatlich 290 Euro reduzierten Zahlungen. Schließlich sei er seiner neuen Ehefrau und ihren zwei Kindern zu Unterhalt verpflichtet (Az: XII ZR 65/09).

Dieser Argumentation folgten die Richter nicht. Sie urteilten, dass bei der Unterhaltsberechnung für die geschiedene wie für die neue Ehefrau gleiche Maßstäbe anzuwenden seien. Der Unterhalt der neuen Partnerin sei so zu ermitteln, als wäre diese Lebensgemeinschaft ebenfalls geschieden. Zwar sei die Rollenverteilung innerhalb der Ehe eine Sache des Paars. Bei der Berechnung des Unterhalts müssten indes für einstige wie für neue Partner gleiche Maßstäbe gelten.

Anders gesagt: Die neue Gattin kann sich also nicht auf eine „Hausfrauenehe“ berufen und eine Erwerbstätigkeit ablehnen, während die Exfrau verpflichtet ist, einem Job nachzugehen. „Es ist richtig, dass jetzt auch vom neuen Ehepartner verlangt werden kann, dass er zusätzlich Geld verdient – wenn er das kann“, erklärt Sonja Schlecht vom Anwältinnenbüro in der Urbanstraße in Berlin Kreuzberg. Vom Ex werde das ja schließlich auch verlangt. „Mit dem Urteilsspruch bekräftigen die Richter ein wesentliches Ziel der Reform“, so die Juristin, „nämlich die Stärkung der Eigenverantwortung der Unterhaltsberechtigten.“

Weniger Versorgungssicherheit hieß es schon seit Anfang 2008 für geschiedene Ehepartner. Orientierte sich die Höhe ihres Unterhalts zuvor an den ehelichen Lebensverhältnissen, werden seither nur noch die durch die Ehe oder zum Beispiel die Kinderbetreuung entstandenen Nachteile ausgeglichen. Hat eine Frau ihren Job aufgegeben und kann nach der Trennung nicht wieder in diesen zurückkehren, wäre das eine solche Beeinträchtigung. „So eine Situation trifft eher zu, wenn es sich um eine lange Ehe über einen Zeitraum von mindestens zehn Jahren gehandelt hat“, erklärt Anwältin Schlecht.

Dass ein Mehr an Verpflichtungen nicht immer eine gute Sache ist, zeigt sich an einer anderen Stelle des neuen Rechts: Mütter und Väter, die Kinder betreuen, müssen grundsätzlich wieder voll arbeiten gehen, sobald diese drei Jahre alt sind. Früher wurde das in der Regel vom betreuenden Elternteil erst verlangt, wenn die Sprösslinge zirka 15 Jahre alt waren. So lange hatten Expartner Anspruch auf Betreuungsunterhalt.

„Die Stärkung der Eigenverantwortung, die der Gesetzgeber durch diese Regelung bezwecken will, ist pauschal nicht angebracht“, urteilt die Berliner Juristin. „Ein eigenes Einkommen steigert zwar das Selbstwertgefühl, aber für eine Frau mit zwei kleinen Kindern ist es extrem schwierig, Vollzeit zu arbeiten.“ Erst kürzlich habe das Berliner Oberlandesgericht in einem Fall entschieden, dass einer Mutter mit zwei Kindern keine ganze Stelle zugemutet werden könne. „Für die Erziehung und Versorgung fehlt der Frau doch dann jegliche Energie“, so Schlecht.

Nicht nur mehr Eigenverantwortung hat der Gesetzgeber mit dem reformierten Unterhaltsrecht im Sinn. Auch die Ansprüche der neuen Familie sollen aufgewertet werden. Für diese bleibt nach neuem Recht mehr Geld bei der Berechnung des Unterhalts. Früherem und neuem Ehepartner steht jetzt jeweils ungefähr ein Drittel vom verfügbaren Einkommen des Unterhaltspflichtigen zu. Nach alter Rechtssprechung blieb dem Ex-Partner grundsätzlich mehr. Geschiedene Ehegatten kommen heute also deutlich schlechter weg.

Oberstes Ziel des neuen Unterhaltsrechts ist jedoch eine bessere Absicherung der Kinder. Sie stehen heute an erster Stelle, wenn es um die Verteilung des Einkommens geht. Nach altem Recht waren alle Unterhaltsberechtigten gleichrangig. Reichte das zu verteilende Einkommen nicht für alle aus, bekam jeder anteilig etwas aus dem Geldtopf. Folglich wurde auch der Unterhalt für minderjährige Kinder gegebenenfalls reduziert. „Heute bekommen die Kinder den vollen Unterhalt und die Exfrau möglicherweise gar nichts mehr, wenn nicht genügend da ist“, erklärt Juristin Schlecht. Denn nur wenn noch etwas zum Verteilen übrig ist, folgen die anderen. „In der Praxis ist das selten der Fall“, urteilt die Kreuzberger Fachanwältin.