„Wir bringen den langen Atem mit“

BEWEGUNG STIFTEN Die Bewegungsstiftung fördert linke Projekte und Kampagnen. Geschäftsführer Jörg Rohwedder sieht die Aufmerksamkeit der Stiftung darin, die Wellentäler der Bewegungs-Konjunktur auszugleichen

■ Bankkaufmann und Sozialwirt, war Anti-Gewalt-Trainer und FriedensarbeiterFoto: Stiftung

INTERVIEW JAN KAHLCKE

taz: Herr Rohwedder, sind die Dynamik von Bewegungen und die statische Verfasstheit einer Stiftung nicht Gegensätze?

Jörg Rohwedder: Der Widerspruch löst sich relativ schnell auf, wenn es gelingt, die Dynamik von Bewegungen in die Stiftung reinzuholen. Das versuchen wir, indem wir Projekte, die wir gefördert haben, in einer Versammlung organisieren, die eine Person in den Stiftungsrat wählt, unser entscheidendes Gremium. Das ist in der deutschen Stiftungslandschaft meines Wissens einmalig.

Wofür brauchen politische Bewegungen eine Stiftung?

Die Bewegungsstiftung hilft, das auszugleichen, was Bewegungen fehlt: Das ist, gerade was das Geld angeht, der lange Atem. Wir können da fördern, wo es gerade unpopulär ist. Die Anti-AKW-Bewegung zu fördern, wenn sie wie jetzt überall in den Medien ist, ist einfach. Aber in der Phase, wo sie Proteste gerade vorbereiten und selbst nicht wissen, ob sie Erfolg haben – da braucht es eine Organisation, die ihr Thema konsequent begleitet; die die Dynamik von Bewegungen kennt und weiß, dass die auch mal Täler haben. Und die bereit ist, gerade in einem Tal Geld zu geben.

Ist die Stiftung der nächste Schritt beim Marsch durch die Institutionen?

Ich würde das eher Professionalisierung nennen. Das heißt nicht, dass uns die Themen ausgingen oder dass die Spontaneität fehlte. Wir kriegen zum Beispiel auch mal einen Antrag über das Thema Intersexualität – da redet kaum jemand drüber.

Stifter treibt häufig das schlechte Gewissen wegen des eigenen Reichtums an. Ihre auch?

Unsere Stifter haben ein großes Bewusstsein dafür, dass die Vermögensverteilung in Deutschland nicht gerecht ist. Ganz viele haben das Gefühl, zu Unrecht privilegiert zu sein. Die Leute kommen ja aus einem linken Milieu. Die kommen aber nicht nur mit einem schlechten Gewissen, sondern auch mit so einem instrumentellen Denken. Die sagen: Nehmt das Geld in die Hand und macht was Gutes damit. Ich weiß, dass ihr das könnt.

Ist Stiften eine Ersatzhandlung an Stelle von eigenem Engagement?

Ich würde sagen: ein komplementäres Handeln. Bestimmt ein Viertel unserer Stifterinnen und Stifter geht zum Beispiel heute zur Menschenkette gegen Atomkraft, allein elf von ihnen gehen gemeinsam als Stiftergruppe. Es gibt aber auch welche, die sagen: In meinem Alter ist das nicht mehr meine Handlungsoption, da stundenlang rumzustehen, ich unterstütze das jetzt vor allem mit Geld.

Sie finanzieren auch Bewegungsprofis wie Jochen Stay, der gerade die Menschenkette mitorganisiert hat. Entsteht da eine Bewegungs-Elite?

Wer 50, 60 Wochenstunden in eine Sache reinsteckt und dabei großes Wissen ansammelt, der bildet eine Elite. Solche Leute braucht’s einfach. Wir fördern die aber nicht direkt. Diese BewegungsarbeiterInnen gehen los und suchen sich Paten, die ihre Arbeit unterstützen. Wir sind nur das Vehikel. 20 bis 40 Personen geben das Geld für einen Bewegungsarbeiter und wir reichen es weiter. Uns war wichtig, dass wir die nicht allein auswählen. Der Stiftungsrat sagt: Ja, wir finden eure Arbeit gut, aber ihr müsst euch weitere Leute suchen, die das auch bezahlen wollen. Das ist also keine abgeschottete Elite, die alles besser weiß, sondern eine positive: Es braucht einfach Leute, die sich ’nen Kopf machen und die auch mal mehr als zehn Wochenstunden ehrenamtlich aktiv sind.

Wie wird man Bewegungsarbeiter?

Es sollte eine Schlüsselperson ihrer Bewegung sein, die mindestens 20 Wochenstunden da reinsteckt. Und, damit das Ganze gemeinnützig ablaufen kann, muss eine wirtschaftliche Bedürftigkeit vorliegen. Dann dürfen sie bis zu 1.750 Euro im Monat bekommen, wovon sie ihre Sozialversicherung selbst bezahlen müssen. Die aktuellen Bewegungsarbeiter bekommen zwischen 500 und 1.200 Euro.

Was finanziert die Stiftung aus ihren eigenen Erträgen?

Wir machen Kampagnenförderung – zum Beispiel für den Abzug der letzten Atomwaffen aus Deutschland, die Kampagne für die Weiter-Finanzierung der Frauenhäuser in NRW oder die Frontex-Kampagne gegen die Abschottung der EU-Außengrenzen. Die bekommen zwischen 5.000 und 8.000 Euro im Jahr. Und dann gibt es längerfristige Förderung, wir nennen das Basisförderung, etwa für Lobby Control, die Clean Clothes Campaign oder den Verein zur Förderung des bewegten und unbewegten Datenverkehrs Foebud.

110 Stifter im Alter von Anfang 30 bis Mitte 80 tragen die Bewegungsstiftung.

■ Das Vermögen der Stiftung beträgt derzeit rund 4,5 Millionen Euro.

■ Zustifter kann man ab einer Stiftungssumme von 5.000 Euro werden.

■ Eine Million Euro hat nur ein einziger Stifter gegeben, nur drei mehr als 500.000, eine handvoll über 250.000.

■ Die Geschäftsstelle mit fünf MitarbeiterInnen wäre nicht aus den Erträgen der Stiftung finanzierbar. Dafür kommen aus einem Kreis von 30 Stiftern zusätzlich regelmäßige Spenden.

■ Über die Verwendung der Kapitalerträge entscheidet der Stiftungsrat aus drei berufenen Mitgliedern und je einem Vertreter der Stifter und der geförderten Projekte.

Sie sitzen im beschaulichen Verden, weit ab vom Berliner Politikbetrieb – ein Nachteil?

Wir sitzen da, weil die ursprünglichen Ideengeber da wohnen. Attac war lange hier im Ökozentrum. Jetzt ist Campact hier; die Bewegungsakademie – das ist ein Umfeld, das passt. Und tatsächlich kommen auch Berlinerinnen und Berliner immer wieder gern her, um sich zu beraten. Unsere Arbeit findet ohnehin bundesweit statt. Da spielt der Ort, an dem wir das Büro haben, nicht die ganz große Rolle.

Sie sind gelernter Sparkassen-Kaufmann. Braucht man so einen Hintergrund, um die nötige Seriosität auszustrahlen?

Es hilft. Wir haben viereinhalb Millionen Euro, die wir – ethisch vertretbar – anlegen müssen. Da ist es schon gut, wenn man die Angebote überprüfen kann. Unsere Anlage ist übrigens transparent und kann vollständig auf der Website nachgelesen werden.

Wie sind Sie durch die Finanzkrise gekommen?

Wir sind daraus relativ unbeschadet hervorgegangen, weil wir sehr marktfern angelegt haben. Wir haben nur 15 Prozent Aktien. Viel von unserem Geld steckt in Wohnprojekten oder regenerativer Energie. Die Windturbinen laufen weiter, egal was der Aktienmarkt macht. Andere Stiftungen haben im Boom zwölf Prozent Rendite gemacht, wir waren immer mit vier Prozent zufrieden. Und wenn wir nach der Krise mal dreieinhalb haben, kommen wir auch klar.