Teenies brauchen Eltern noch

PUBERTÄT Wenn Kinder älter werden, sind Eltern als Sparringspartner und Begleiter gefordert, sagt der dänische Familientherapeut Jesper Juul. Die strenge Elternstimme werde nicht gehört. Am 3. Oktober ist Juul in Hamburg

„Wir müssen aufhören, uns vor Jugendlichen zu fürchten“

Jesper Juul, Bestsellerautor und Familientherapeut

VON KAIJA KUTTER

„Die sind doch schon groß, die brauchen euch nicht mehr“, sind Sätze, die Eltern zu hören bekommen, wenn Kinder erst mal im Teenageralter sind. Der Alltag sieht irgendwie anders aus. Manche Mütter berichten sogar, sie hätten entspannter arbeiten können, als ihre Kinder im Kita-Alter waren.

Das Alter von zwölf bis 20 ist eine Umbruchphase, „in der die Jugendlichen auf dem Weg sind, sich selbst zu finden und dabei viel Unterstützung von Eltern brauchen“, sagt der Münchner Autor Mathias Voelchert, der das Informationsportal „familylab.de“ betreibt und Workshops mit dem dänischen Familientherapeuten Jesper Juul durchführt.

Der hat ein Buch über Pubertät geschrieben und wird am 3. Oktober an der Hamburger Uni einen Vortrag halten, Titel: „Pubertät ist eine Tatsache, keine Krankheit“. Damit wendet sich der Däne gegen das defizitäre Bild, das oft von dieser Lebensphase gezeichnet wird.

„Wir müssen aufhören, uns vor Jugendlichen zu fürchten“, sagt Juul. Erziehungstipps gibt er nicht, er bezeichnet sich auch nicht als „Experte“. Aber er sagt Sätze, die zum Nachdenken bringen. Früher habe man eine Grenze um das Kind gezogen, heute müssten Erwachsene anfangen, für sich selbst Grenzen zu setzen, ihre „individuelle persönliche Grenzen im Umgang mit Kindern zu ziehen“, schrieb er schon Mitte der 90er in seinem Klassiker „Das kompetente Kind“. Statt autoritärer Macht werde „persönliche Autorität“ gebraucht.

Juul bezeichnet die Pubertät als „pay-back-time“. Ob diese Zeit in der Familie schön oder schrecklich werde, sei in erster Linie ein Resultat der ersten zehn Jahre der Erziehung. „Unglücklicher Weise verletzen immer noch eine Menge Eltern mit Maßnahmen wie Strafen, Befehlston, Liebesentzug die persönliche Integrität von Kindern“, schreibt der Therapeut. Wichtig sei, dass die Jugendlichen ein Selbstwertgefühl haben, dass ihnen erlaubt, „eigene Grenzen zu erkennen und nicht selbstzerstörerisch zu handeln“.

Heißt das nun, wer als Eltern in den ersten zehn Jahren viel falsch macht, kann nichts mehr retten? „Nein“, sagt die Hamburger Therapeutin Jessika Distelmeyer, die den Abend mit Juul organisiert. „Eltern und Kinder haben immer die Chance, sich zu entwickeln.“ Die Pubertät ist aber für Juul der späteste Zeitpunkt, an dem Eltern den Umgang mit dem Kind ändern, „anders mit ihm reden, es weniger bevormunden“ müssen. Die „Elternuniform“ gehöre abgelegt.

„Jugendliche können viel selber, aber nicht allein“, sagt Voelchert. Sie bräuchten Eltern, die sich für sie interessieren und ihnen zur Seite stehen, wenn etwas schiefgeht. Durch das Internet hätten junge Menschen heute um den Faktor 100 mehr Möglichkeiten, gefährliche Dinge zu tun, beispielsweise die Begegnung mit Pornografie.

Wenn Eltern das bemerken, ist es durchaus sinnvoll, mit dem Kind darüber zu sprechen und zu sagen, was sie befremdet. Voelchert: „Kinder brauchen Eltern, die klar sagen, was sie gut finden und was nicht.“ Für Juul sind Eltern auch in der Pubertät, „wichtige Vorbilder und Sparringpartner für ihre Kinder“. Väter und Mütter sollten authentisch bleiben, klar sagen, womit sie leben können und womit nicht, die Kinder aber nicht manipulieren.

Das im Alltag zu beherzigen ist nicht einfach. Juul, Vater eines erwachsenen Sohnes, sagt: „Würde ich heute ein Kind erziehen, wäre ich nervöser als vor 30 Jahren.“ Nach dem Vortrag sind Fragen zugelassen.

Sonntag, 3. Oktober 2010, 19 Uhr, Uni-Hauptgebäude, Hamburg. Karten 25 Euro, Vorverkauf 22 Euro. Infos: www.fortschritte-hamburg.de