„Die Ursachen liegen beim Menschen“

TIERPSYCHOLOGIE Auch Tiere haben mit emotionalen oder psychischen Belastungen zu kämpfen, die sie vor allem durch ihr Verhalten zeigen. Die Ursachen für diese Belastungen liegen vor allem in der Beziehung zum Menschen

■ hat beim „Institut of Veterinary Science“ in London ein Fernstudium zur Tierpsychologin absolviert. Sie arbeitet in Hamburg und ist auf Hunde und Katzen spezialisiertFOTO: PRIVAT

INTERVIEW: HASMIK EPISKOPOSIAN

taz: Frau Meißner, was macht ein Tierpsychologe?

Ramona Meißner: Ich befasse mich mit den oft sehr komplexen Ursachen, die bei Tieren zu Verhaltensauffälligkeiten führen können, und versuche diese Probleme gemeinsam mit dem Tierhalter zu lösen.

Das heißt konkret?

Hunde- und Katzenhalter, die irgendein auffälliges Verhalten an ihrem Tier bemerkt haben und damit nicht zurechtkommen, rufen bei mir an. Ich höre mir das Problem am Telefon an und schaue zuerst, ob ich dafür überhaupt zuständig bin. Bevor ich mit irgendwelchen verhaltenstherapeutischen Maßnahmen beginnen kann, muss eine medizinische Abklärung durch den Tierarzt erfolgen, um eine körperliche Ursache für das Verhaltensproblem ausschließen zu können. Erst danach kann man davon ausgehen, dass für das Problemverhalten irgendein psychischer oder emotionaler Grund vorliegt.

Haben Tiere eine Psyche?

Natürlich. Tiere sind hoch entwickelte, intelligente soziale Wesen, genau wie Menschen. Für mich gibt es da überhaupt keine Zweifel und keinerlei Unterschied. Manche Wissenschaftler behaupten heute leider immer noch, dass Tiere keine Seele haben. Das ist für mich völliger Unsinn. Man kann ja mit den Tieren und auch mit ihren Seelen wunderbar kommunizieren. Und in ihrer Wahrnehmungsfähigkeit sind Tiere uns Menschen ohnehin weit überlegen.

Was heißt Verhaltensauffälligkeit bei Tieren?

Aggressives Verhalten bei Hunden, Angstverhalten oder Unsauberkeit bei Katzen gehören zum Beispiel dazu.

Hat Unsauberkeit etwas mit psychischen Problemen zu tun?

Das kommt immer auf den Einzelfall an. Unsauberkeit kann zum Beispiel durch eine Blasenentzündung verursacht werden. Meistens liegt allerdings eine seelische Ursache vor, so dass das Urinieren außerhalb des Katzenklos als emotionaler Hilferuf des Tieres zu werten ist. Dann ist dann meine Aufgabe, diese Ursache im Lebensumfeld oder in der Mensch-Tier-Beziehung herauszufinden, was oft regelrechte Detektivarbeit ist.

Ist es schwieriger diese Ursachen beim Tier herauszufinden, weil es im Gegensatz zu Menschen nicht sprechen kann?

Nicht unbedingt. Wenn man Verhaltensprobleme von Tieren lösen möchte, kann man aber meist nur über den Menschen, also den Tierhalter, an die Problemursache herankommen. Es ist nicht so, wie manche Berufsanfänger sich das vorstellen, dass man jetzt wirklich nur mit dem Tier arbeitet. Das macht vielleicht ein Hundetrainer auf dem Übungsplatz.

Kommt es vor, dass die Probleme eher beim Tierhalter als beim Tier liegen?

Man hat in diesem Beruf auch sehr viel mit menschlichen Konflikten zu tun. Ich würde sagen, in den meisten Fällen liegt die Ursache für Verhaltensprobleme bei Tieren in einer konfliktbehafteten Persönlichkeit des Menschen in Verbindung mit dem daraus resultierenden problematischen Umgang mit dem Tier. Es kommt auch vor, dass ich mit den Tierhaltern zwei Stunden lang Gespräche führe, bei denen es gar nicht direkt um das Tier geht, sondern um den Menschen, der mir von seinen eigenen emotionalen Belastungen erzählt, was eigentlich eine psychologische Beratung für den Tierhalter ist. Viele Ursachen liegen in dem Menschen verborgen, der zum Beispiel seine unterdrückten Gefühle und unbewusste Aggressionen auf das Tier projiziert. Deswegen muss man als Tierpsychologe natürlich auch Ahnung von Humanpsychologie haben. Gewisse Grundkenntnisse sind absolut notwendig.

Sie haben schon eine langjährige Erfahrung in Tierpsychologie. Was war Ihr kuriosester Fall?

Eigentlich ist jeder Fall spektakulär und besonders. Ich lerne bei jedem Fall etwas Neues hinzu. Und von den Tieren kann man ja besonders viel lernen. Ich bin zum Beispiel immer wieder von solchen Fällen beeindruckt, bei denen ein Tier den Halter spiegelt. Das heißt, dass das Tier ein bestimmtes Verhalten des Menschen zeigt oder an seiner Stelle auslebt und damit auf dessen Konflikt hinweist.

Ist das moderne Leben des Menschen für die Tiere belastend?

Grundsätzlich kann man schon sagen, dass die moderne Gesellschaft relativ belastend ist für unsere Haustiere. Das fängt schon bei den Funkstrahlen an, dem Lärm, der Umweltverschmutzung und den chemischen Belastungen, die in vielen Futtermitteln enthalten sind. Und überhaupt ist das Zusammenleben mit einem Menschen, der heutzutage in Dauerstress oder gar Existenzangst lebt, für ein Tier belastend.

Es gibt aber viele Menschen, die sehr viel Geld dafür ausgeben, damit es ihrem Tier gut geht.

Es geht nicht um Geld. Tiere wünschen sich keine materiellen Dinge, sondern liebevolle Zuwendung, Zeit, Respekt und Achtung ihrer Bedürfnisse. Dem Tier ist es völlig egal, ob es in einem billigen Pappkarton schläft, in dem einfach nur ein gebrauchtes T-Shirt seines Menschen liegt. Das ist ihm sogar viel lieber als ein steriles Luxuskörbchen mit Leder oder Plüsch. Wirklich tiergerechte Produkte gibt es ohnehin nur wenige.