Sitzen heißt Bewegen

ERGONOMIE Eine Reihe besonderer Hocker verheißt Schreibtischarbeitern einen gesunden Rücken. Berufsgenossenschaft und Krankenkasse empfehlen ausgefuchste Bürostühle

VON GERNOT KNÖDLER

Sie müssen nicht Kartoffeln klauben und auch keine Kohlensäcke schleppen – und trotzdem haben sie Rückenschmerzen. Das ist kein Wunder: „60.000 Stunden verbringt ein Büroarbeiter im Laufe seines Lebens auf einem Stuhl“, sagt Helmut Berger, Präventionsexperte der gesetzlichen Unfallversicherung VBG. Entsprechend viel Hirnschmalz ist in gesunde Sitzmöbel investiert worden, bis hin zu alternativen Sitzkonzepten wie Hockern und Bällen. Für die VBG, die zahlen muss, wenn jemand vom Stuhl kippt und sich verletzt, steht wie für die AOK fest: Ein herkömmlicher, wenn auch ausgefuchster Bürostuhl ist immer noch am sinnvollsten.

Die Alternativen sind durchaus verführerisch: Wer zum ersten Mal auf einem Balans Platz nimmt, genießt erleichtert das freie Gefühl in der unteren Wirbelsäule. Der Hocker hat zwei parallele Schaukelkufen, eine geneigte Sitzfläche und zwei Kniepolster, die einen Teil des Gewichts abfangen.

Hilfsmittel müssen nicht teuer sein

Andere Konzepte wie der Münchner Mi-Shu-Stuhl arbeiten mit zwei Sitzwülsten, zwischen die man sich setzt oder mit einer komplett beweglichen Sitzfläche, wie der Balimo-Hocker. Darüber hinaus gibt es Pendelhocker, Sattelsitze und billige Hilfsmittel wie Sitzbälle, Wackelkissen und Keile.

Der Balimo sei eigentlich für den Reitsport entwickelt worden, erzählt Claudia Bryll von der Firma Advinova, die den Hocker seit 2004 vertreibt. Auf einem Kugelgelenk sitzend, lässt sich die Sitzfläche widerstandslos in alle Richtungen um bis zu 20 Grad kippen. „Damit können sie wunderbar Pferdebewegungen simulieren“, sagt Bryll. Das kippelige Sitzen fördere die Beweglichkeit des Beckens und der Wirbelsäule, es stärke den Rücken und fördere den Gleichgewichtssinn. Es wird deshalb von manchen Orthopäden empfohlen.

Ist schon mal einer vom Sitzball gekippt

Derlei exotische Sitzgelegenheiten seien nur als Trainingsgerät sinnvoll, sagt Thomas Woltermann, Fachmann für Ergonomie der AOK Rheinland-Hamburg. „Wenn man acht Stunden lang auf einem Ball sitzt, kommt man zu nichts anderem mehr.“ Auf einem Ball, den die AOK eine Zeitlang propagierte, sei überdies schon jemand nach hinten über gekippt und habe sich den Kopf aufgeschlagen. Außerdem schwitzt man auf dem Plastikding und macht sich schmutzig. Kufenstühle entlasten zwar den Rücken, belasten dafür aber die Knie.

Bei Untersuchungen zu den alternativen Sitzgelegenheiten sei zwar festgestellt worden, dass sich die Probanden zwar aufrichteten, sagt der VBG-Experte Berger. Schon nach kurzer Zeit hätten sie aber wieder einen runden Rücken gemacht. Die VBG empfiehlt deshalb Bürostühle, die in jeder Sitzposition den Rücken unterstützen, also stets am Rücken anliegen, ganz gleich in welcher Neigung man auf dem Stuhl sitzt. Dazu müsse sich die Lehne in definierter Weise synchron mit der beweglichen Sitzfläche bewegen.

Im Übrigen ist ein guter Stuhl für die Experten nur ein Teil der Prävention. Der ganze Büroarbeitsplatz müsse entsprechend gestaltet sein – bis hin zum Headset für Viel-Telefonierer. Außerdem solle man sich nicht aufs Sitzen beschränken, sondern ab und zu stehen oder herumlaufen. „Für Büroarbeiter heißt es: bewegen, bewegen und nochmals bewegen“, sagt Berger.