Kommunen können fair steuern

FAIRTRADE TOWN Die öffentliche Hand hat eine Marktmacht, die den fairen Handel entscheidend nach vorne bringen kann. Eine Auszeichnung animiert Gemeinden dazu

■ 1. Beschluss des Magistrats, dass bei allen Sitzungen der städtischen Gremien Kaffee und ein weiteres Produkt aus fairem Handel verwendet werden.

■ 2. Einrichtung einer lokalen Steuerungsgruppe, die auf dem Weg zur „Fairtrade-Stadt“ die Aktivitäten vor Ort koordiniert.

■ 3. Angebot von gesiegelten Produkten aus fairem Handel in lokalen Einzelhandelsgeschäften sowie Ausschank von Fairtrade-Produkten in Restaurants und Cafés.

■ 4. Verwendung von Fairtrade-Produkten in öffentlichen Einrichtungen wie etwa Schulen, Kirchen und Vereinen und Bildungsaktivitäten zum Thema fairer Handel in diesen Einrichtungen.

■ 5. Bericht der öffentlichen Medien über alle Aktivitäten.

VON DIERK JENSEN

Gemeindesitzungen können manchmal sehr zäh sein. Besonders, wenn es um so heikle Fragen geht, ob nun auf dem Marktplatz ein neues Toilettenhäuschen gebaut werden soll oder eben nicht. Eine kontroverse, detailversessene Diskussion darüber kann ermüdend sein, weshalb in solchen Situationen der geneigte Kommunalpolitiker schon mal gern zu einer starken Tasse Kaffee greift, um nicht von der lokalen Politik vollends eingeschläfert zu werden. Und da sich in tausenden Kommunen der Republik wahrscheinlich ähnliche Szenen abspielen, fließen täglich tausende Liter Kaffee in die Kehlen engagierter Lokalpolitiker. Bezahlt wird der schwarze Wachmacher in der Regel aus der Gemeindekasse. Dabei ist Kaffee nur ein Produkt unter ganz vielen anderen, die die Gemeinden neben einer langen Reihe von Dienstleistungen ordern. Welche wirtschaftliche Nachfragemacht dahintersteckt, belegt die Statistik. Nach aktuellen Erhebungen kaufen vor allem Kommunen, aber auch die Länder, also allesamt öffentliche Körperschaften, in Deutschland jährlich Werte in Höhe von rund 360 Milliarden Euro ein. Das sind 17 Prozent des Bruttoinlandprodukts! Damit hat die öffentliche Hand über ihre Beschaffungsstellen einen großen Einfluss auf Warenströme. Würden sie alle fair einkaufen, wäre der faire Handel einen Riesenschritt weiter.

Noch ist es aber längst nicht so weit. Doch ist an der Basis, in vielen Kommunen, ein Sinneswandel zu vermelden. So auch im beschaulichen Grünberg, einem historischen Fachwerkstädtchen 20 Kilometer östlich von Gießen im Mittelhessischen. Wenn dort die Mitglieder des Magistrats über die zukünftige Gestaltung ihres Marktplatzes diskutieren, dann greifen sie seit Anfang letzten Jahres zu fair gehandeltem Kaffee. Hat doch die 14.000-Einwohner-Stadt sich per Ratsbeschluss im Jahr 2010 dazu verpflichtet, künftig nur noch Produkte aus dem fairen Handel zu beschaffen. Vorausgegangen war eine Initiative von einer Handvoll Grünberger, die, von einem Artikel in der taz inspiriert, den Bürgermeister Frank Ide direkt ansprachen, ob er die Idee einer Fairtrade-Town mit unterstützen würde. Ide war spontan angetan von der Idee, sich als Kommune bewusster als bisher um den eigenen Einkauf zu kümmern. Während sich die Initiative darum bemühte, den lokalen Einzelhandel, Restaurants und Cafés mit in das Projekt einzubeziehen, gelang es dem jungen Bürgermeister, den Magistrat beschließen zu lassen, den fairen Handel aktiv zu unterstützen. Schließlich stellte die hessische Kleinstadt im Mai, nachdem die Initiatoren zumindest einen kleinen Teil der „schwerfälligen“ Gastronomie zum Mitmachen überzeugen konnte, den Antrag für den Titel „Fairtrade Town“ bei der Kölner TransFair.

Werte in Höhe von rund 360 Milliarden Euro, 17 Prozent des Bruttoinlandprodukts

Der Verein vergibt den Titel im Rahmen der weltweiten Kampagne, an der sich in 21 Ländern mittlerweile fast tausend Kommunen beteiligen, seit 2009 in Deutschland. Nachdem sich in Grünberg inzwischen sieben Einzelhandelsgeschäfte, drei Gastronomiebetriebe, zwei Kirchengemeinden, eine Schule sowie zehn Vereine, Bildungseinrichtungen und andere Institutionen für mehr fairen Handel unter den Dächern ihrer Fachwerkhäuser engagieren, ist es im September nun so weit: Grünberg hat die fünf Kriterien einer Fairtrade-Stadt erfüllt und bekommt den Titel mit öffentlichem Brimborium überreicht. Damit reiht sich Grünberg in eine illustre Gruppe von knapp 50 deutschen Städten, Kleinstädten und Landkreisen ein, darunter auch Sonthofen, Wuppertal und Bonn, die sich mit dem Titel bereits länger schmücken.

Dabei ist die Kampagne Fairtrade-Stadt nur eine Option unter anderen. Jede Kommune hat die Freiheit, selbstbestimmt zu entscheiden, welche Kriterien sie für den Einkauf anlegt. So beschloss beispielsweise die Lübecker Bürgerschaft schon 2003, keine Produkte zu beschaffen, die in irgendeiner Weise mit ausbeuterischer Kinderarbeit hergestellt werden. Und für die schleswig-holsteinische Landeshauptstadt Kiel existieren seit 2008 verbindliche Kriterien für die Vergabe städtischer Aufträge, denen zufolge mehrere Punkte der Nachhaltigkeit berücksichtigt werden müssen.