Ruhe unter Bäumen

BESTATTUNGSKULTUR Auf dem Hauptfriedhof Hamburg-Altona gibt es seit kurzem ein Areal eigens für Baumgrabstätten. Das ist ungewöhnlich, weil „Friedwälder“ meist weit außerhalb der Städte liegen und für die Angehörigen häufig nur schwer erreichbar sind

Der Besuch auf dem Friedhof erinnert fast an einen „normalen“ Spaziergang im Grünen

VON CHARLOTTE ZINK

Wie eine Insel liegt der schwere Stein auf dem grünen Meer aus Stauden. In Reih und Glied sind kleine bronzene Schilder auf ihm angebracht. Auf jedem steht ein Name. Durch die hohen Baumkronen der alten Kiefern fällt Sonnenlicht auf den Grabstein. Über das Grabfeld führt ein geschwungener Weg, gesäumt von hellen Steinen. Er mündet in einen kleinen runden Platz. In der Mitte wachsen rosa Blümchen in einem Steintopf. Außerdem stehen dort zwei Bänke.

Auf ihnen können Angehörige seit dem vergangenen Jahr zur Ruhe kommen und der Verstorbenen gedenken, die hier begraben liegen. Denn schon seit vorigem Jahr gibt es auf dem Hamburg-Altonaer Hauptfriedhof neben den herkömmlichen Gräbern eine Baumgrabstätte, auf der Urnen beigesetzt werden können. „Häufig wird diese als Alternative zur Beisetzung in sogenannten Friedwäldern gewählt“, sagt Friedhofsleiter Jan Appelt. Gemeint sind Friedhöfe, die in Wäldern liegen. Dort werden Verstorbene in der Natur unter Bäumen beigesetzt. Der Nachteil ist, dass die Wälder außerhalb der Städte liegen und ohne Auto nur schwer zu erreichen sind. In der Nähe von Hamburg gibt es beispielsweise in Buxtehude und der Lüneburger Heide Friedwälder.

Die Baumgrabstätte auf dem Altonaer Hauptfriedhof liegt dagegen wesentlich zentraler und bietet durchaus eine ähnliche Umgebung wie die abgelegenen Friedwälder. Denn der Hauptfriedhof ist Teil des Volksparks. Und so erinnert der Besuch auf dem Friedhof fast an einen „normalen“ Spaziergang im Grünen.

„Viele der Verstorbenen, die hier beigesetzt werden, waren zu Lebzeiten sehr naturverbunden“, sagt Friedhofsleiter Jan Appelt. Häufig spielen aber auch andere Faktoren eine Rolle. Denn die meisten Hinterbliebenen können oder wollen kein Grab pflegen. „Um die Baumgräber kümmert sich bei uns eine Firma“, sagt Appelt.

In Altona arbeiten nämlich nur noch acht Gärtner auf dem Hauptfriedhof, und die haben alle Hände voll zu tun. Vor zehn Jahren waren es noch etwa 20. Die Pflege für die 60 mal 60 Zentimeter großen Urnengräber ist in dem Preis für 25 Jahre Liegezeit inbegriffen. Die Instandhaltung von Bäumen und Bodenbepflanzung gehört dazu. Denn der kleine Wald auf dem Friedhof soll, so wollen es die Betreiber, das ganze Jahr über grün bewachsen sein.

Blumen oder anderer Grabschmuck ist auf den Baumgräbern allerdings nur bei der Beerdigung erlaubt. „Wir möchten vermeiden, dass Besucher über die Ruhestätten laufen“, sagt Appelt. Angehörige können ihre Mitbringsel aber an einer anderen, zentralen Stelle aufstellen. „Den meisten Hinterbliebenen ist es wichtig, einen Bezugspunkt für ihre Trauer zu haben“, sagt Appelt.

Dabei stehen sie oft in Konflikt mit dem letzten Willen des Verstorbenen: Denn der will seinen Verwandten oft Mühe ersparen und entscheidet sich für eine anonyme Urnenbestattung. Dort gibt es keine Begräbnis-Zeremonie, und die Angehörigen wissen nicht, wo das Grab ist. Außerdem kann die Ruhestätte nicht über die gesetzlich vorgeschriebene Zeit von 25 Jahren hinaus verlängert werden. „Häufig bekommen wir Anfragen von Angehörigen, die wissen wollen, wo der Verstorbene beerdigt ist“, sagt Appelt. „Aber darüber geben wir keine Auskunft. Wir müssen den letzten Willen der Verstorbenen respektieren.“

Mittlerweile wählen Angehörige die Baumgräber oft als Kompromiss: Denn so ein Grab erfordert keine Pflege, und die Angehörigen haben trotzdem einen Ort, den sie aufsuchen können. Außerdem kann die Ruhezeit verlängert werden. Zudem kann in einem Grab eine zweite Urne beigesetzt werden. Familiengräber gibt es zwar nicht, aber Familien können zusammenhängende Grabfelder kaufen. Bisher hat die Altonaer Baumgrabstätte 150 Plätze. 300 bis 400 weitere sind geplant.

Dass auf der Baumgrabstätte ausschließlich Urnen beigesetzt werden, folgt einem Trend, der sich in den letzten Jahren abgezeichnet hat. „Wir haben fast 80 Prozent Urnenbestattungen“, erklärt Appelt. Auch Familiengräber, wie man sie von anderen Friedhöfen kennt, würden immer seltener, sagt er. „Es gab einen Wandel in der Beerdigungskultur“, sagt der Friedhofsleiter, und der hänge mit den veränderten Lebensgewohnheiten zusammen. Denn Familien lebten immer häufiger über Deutschland verteilt und Angehörige würden in verschiedenen Städten begraben.

Immer beliebter werden hingegen Themengrabstätten wie die Baumgrabstätte in Altona. Da gibt es mittlerweile die unterschiedlichsten Angebote. Auf dem Altonaer Hauptfriedhof etwa findet sich außerdem eine Grabstätte nur für HSV-Fans: Die Anlage ist einem Stadion nachempfunden, weshalb die Gräber stufenweise angeordnet sind. Der Rasen stammt aus dem gegenüberliegenden Fußballstadion des Hamburger Sportvereins.

Auf dem Friedhof in Hamburg-Ohlsdorf gibt es weniger sportliche Themen, dafür aber die sogenannten Schmetterlings-Grabstätten: Da ist ein zentrales Beet so bepflanzt, dass es im Frühjahr und Sommer bunte Falter aller Sorten anzieht.

„Zur neuen Friedhofskultur gehören Themengräber einfach dazu“, sagt Appelt. Mit den Baumgrabstätten werde ein Thema berücksichtigt, das vielen Menschen sehr am Herzen liege – die Natur. „Auch in Zukunft wird es immer mehr Baumgrabstätten geben“, sagt Appelt. „Denn die gefallen vielen besonders gut.“

Besichtigung nach Absprache unter: ☎ 040 - 428 11 42 77