Zweite Chance, erste Wahl

RECYCLING Von Wegwerfgesellschaft keine Spur: Kaputte Fahrradschläuche, Nähreste oder ausrangierte Glühlampen lassen sich ganz wunderbar zu neuen Produkten verarbeiten

■ Wer selbst schon alles hat, kann für einen gut Zweck spenden. Man kann sich selbst – und einem nahestehenden Menschen – natürlich aber auch etwas schenken, was einem gar nicht selbst, sondern anderen zugute kommt – denen, die es wirklich gebrauchen können. Um zu überleben zum Beispiel. Für eine Spende von 25 Euro kann in Uganda etwa eine Ziege gezüchtet werden – für die Begünstigten ist das ein erster wichtiger Schritt zur Selbsthilfe (www.schenke-eine-ziege.de). Über die Hilfsorganisation Oxfam gibt es verschiedene Möglichkeiten – von Saatgut für Bananenbäume in Sambia bis zu Schulbüchern für die Demokratische Republik Kongo (www.oxfamunverpackt.de). Und wenn Sie der Tier- oder Umwelt etwas Gutes tun wollen, können Sie eine „Naturpatenschaft“ des BUND übernehmen – zum Schutz der Elbe wie von Wildkatzen (www.bund.net/spenden/patenschaften). Sie können der Organisation Apopo aber auch dabei helfen, ihre lebensrettende Mission weiterzuführen: Apopo setzt Ratten, die einen außergewöhnlichen Geruchssinn haben, in Afrika zum Aufspüren sowohl von Landminen als auch von Tuberkulose ein. Mit einer Spende können Sie zur Ausbildung sogenannter Hero Rats beitragen (www.apopo.org).

VON KRISTINA SIMONS

Der Kulturbeutel hat schon viel gesehen von der Welt. In seinem früheren Leben ist er durch die Stadt und über Landstraßen gefahren. Da war er noch als Schlauch bespannt auf einem Fahrradreifen. Das hat Spuren hinterlassen: Hier und da prangt ein Flicken. Der Fahrradschlauch, ausgedient, kaputt, würde in der Tonne landen, bekäme er bei „Pelle Mia“ in der Kreuzberger Naunynstraße nicht eine zweite Chance. Für Punita B. Schmechel, die Frau hinter Pelle Mia, fängt der Reiz genau da an, wo für andere der Spaß aufhört.

„Mit gebrauchtem Material zu arbeiten und zum Beispiel einen Fahrradflicken in das Design zu integrieren, macht nicht nur Spaß, sondern ist auch sinnvoll, weil es Ressourcen schont und Müll vermeidet“, sagt sie. Die kaputten Schläuche bekommt sie von Fahrradläden in der Nähe. Die müssten sie ansonsten entsorgen. Punita schneidert aus ihnen nicht nur Kulturbeutel, sondern auch Brillenetuis und Portemonnaies. Für ihre Taschen aus alten Luftmatratzen oder gebrauchten Lkw-Planen – mit ihnen fing alles an – nutzt sie die Schläuche als Saum und als Stifthalter.

Auch unter ihrem Etikett mit dem Pelle-Mia-Schriftzug steckt Fahrradschlauch. „Ich hab schon immer ein Faible dafür gehabt, Dinge weiterzuverwenden, aus Altem Neues zu kreieren“, erzählt Punita. Anfangs griff sie noch in ihrer Einzimmerwohnung zu Schere, Waschbürste, Nadel und Faden, seit 2002 hat sie den Werkstattladen in der Naunynstraße. Hier kann man der Metamorphose von Fahrradschlauch, Lkw-Plane, Luftmatratze oder indischem Hochzeits-Sari zu Kulturbeutel, Portemonnaie oder Tasche zusehen.

Die Idee, mit recyceltem Material zu arbeiten, hat auch Elisabetta Lombardo zu ihrem „Ein-Frau-Unternehmen“ RenewFabrics motiviert. „Hier vereine ich meine Leidenschaft für Stoffe mit meinem Anspruch, nachhaltig und sinnvoll zu wirtschaften“, sagt sie. Lombardo nutzt noch die kleinsten Stofffetzen, um daraus Taschen, Broschen, Schlüsselanhänger oder Karten zu nähen.

Zerrissene Klamotten, einzelne Stoff- oder Nähreste sind für sie wertvolle Schätze. Beim Nähen überlegte sie irgendwann, ob sie die verbliebenen Reste nicht noch weiterverwenden könnte. „Zu dieser Zeit recherchierte ich sehr viel über die Produktion von Baumwolle und die vielen damit verbundenen Probleme wie Überproduktion und Rohstoffverschwendung“, erinnert sich Lombardo.

Bald suchte sie auch in Second-Hand-Läden, auf Floh- und Kunsthandwerkmärkten nach gebrauchten Materialien und setzte irgendwann noch die Rubrik „Stoffreste schicken“ auf ihre Internetseite: Stoff gegen Porto. In kurzer Zeit kamen die ersten drei Pakete bei ihr an. Seitdem kommt Lombardo kaum hinterher mit dem Nähen.

Überall kann man Spuren von Graswurzel-Recycling entdecken: Blumentöpfe aus gebrauchten Autoreifen oder einen Stoffaffen aus recycelten Frotteetüchern

„Ich arbeite in einer Zero-Waste-Umgebung“, betont sie. „Ich versuche also wirklich alles aufzuheben und irgendwann wiederzuverwenden, selbst wenn es Wochen oder Monate dauert, bis ich genau diese oder jene Farbe für eine Brosche brauche.“ Die Stoffe bedruckt Lombardo mit eigens, zum Beispiel aus Kork, herstellten Stempeln oder im Siebdruckverfahren. „Dabei arbeite ich hauptsächlich mit meinen selbst produzierten Sieben. Die kann ich mit sehr viel geringerem Energieaufwand herstellen als sonst nötig wäre.“ Sämtliche Farben sind umweltfreundlich und gesundheitlich unbedenklich. Kaufen kann man Lombardos Schätze derzeit im Online-Shop auf DaWanda und regelmäßig auf verschiedenen Märkten in Berlin.

Überall kann man Spuren solchen Graswurzel-Recyclings entdecken. So gibt es zum Beispiel im Internetshop von „Lilli Green“ Vasen aus ausrangierten Glühlampen, Blumentöpfe aus gebrauchten Autoreifen oder einen Stoffaffen aus recycelten Frotteetüchern. Im Laden der „Konsumhelden“ in der Pappelallee in Prenzlauer Berg gibt es ebenfalls vielerlei Produkte aus recyceltem Material: von der Windjacke aus Fallschirm über Trinkgläser aus abgeschnittenen Einwegtaschen bis zum Barschrank aus einem ausrangierten Ölfass – frei nach dem Motto „Shoppen kann die Welt verbessern“.

Wer individuelle Möbel mit nachhaltigem Gebrauchswert sucht, wird im „schubLaden“ in der Kreuzberger Körtestraße fündig. Hier baut Franziska Wodicka neue Möbel um gebrauchte, aber noch gut erhaltene Schubladen herum, die sie in Trödelläden oder auf Flohmärkten findet. Und wer Omas alten Schmuck einschmelzen und daraus etwa Neues schmieden will, kann das unter Anleitung bei „Volksluxus“ in der Naunynstraße tun.

■ Pelle Mia, Naunynstraße 52, 10999 Berlin, www.pellemia.de. ■ RenewFabrics, Hiddenseer Str. 4 (kein Laden!), 10437 Berlin, www.renewfabrics.com. ■ Lilli Green, Ganghoferstr. 2, 12043 Berlin, www.lilligreen.de. ■ Konsumhelden, Pappelallee 86, 10437 berlin, www.konsumhelden-berlin.de. ■ schubLaden, Körtestrasse 26, 10967 Berlin, www.schubladen.de. ■ Volksluxus, Naunynstraße 52, 10999 Berlin, www.volksluxus.net