Bedingt sozial und demokratisch – taz salon zum Thema Wohnungsbaugenossenschaften

SELBSTHILFE Günstiges Wohnen, Mitspracherecht, Demokratie – das sollten Genossenschaften bieten. Die Realität sieht oft anders aus. Ein Streitgespräch

In vielen Genossenschaften wird der demokratische Gedanke nicht gelebt

„Wo Mitbestimmung drauf steht, ist nicht immer Mitbestimmung drin“, sagt Siegmund Chychla vom Mieterverein zu Hamburg. Am 9. Februar diskutierte er im taz salon mit Holger Kowalski, dem Vorstand des Altonaer Spar- und Bauvereins (Altoba), sowie Christian Budig und Philip Jung von der Bürgerinitiative „Rettet Elisa“ über Wohnungsbaugenossenschaften. Zwei Themen dominierten den Abend: das Mitspracherecht der Mieter und das steigende Mietenniveau.

Die Initiativenvertreter Budig und Jung fühlen sich von der Vereinigten Hamburger Wohnungsbaugenossenschaft (VHW) übergangen und getäuscht. Sie wohnen am Elisabethgehölz in Hamm, wo 122 Wohnungen aus den 20er-Jahren abgerissen werden sollen. Ein offenes Gespräch mit den Bewohnern habe der Vorstand nie gesucht. „Uns wurde klar, dass wir zu allem nur noch Ja und Amen sagen sollten“, sagte Budig.

Beim Altoba würde das nicht vorkommen, beteuerte dessen Vorstand Kowalski. Eine Genossenschaft müsse zwar wirtschaftlich denken, habe aber eine soziale Verantwortung. Die Mitglieder könnten ihre Interessen über gewählte Vertreter geltend machen.

„Rettet Elisa“ hat das bis dato nichts genützt. „Der Vorstand der VHW hat entschieden“, sagte Budig. „Über die Köpfe der Mitgliedervertreter hinweg.“

Mieterberater Chychla stellt in vielen Genossenschaften fest, dass der darin verankerte demokratische Gedanke nicht gelebt wird. In der Praxis würden die Mieter oft von Entscheidungen ausgeschlossen.

Kowalski rechtfertigte das steigende Mietenniveau. „Wir brauchen Mieten und Mieterhöhungen“, sagte Kowalski. Neubauten seien heute nicht mehr unter einem Mietpreisniveau von 12,50 Euro zu errichten. Die Grundstückspreise in Hamburg stiegen. Es stimme aber nicht, dass mit dem Anstieg des Mietenspiegels automatisch auch die Genossenschaftswohnungen teurer würden. Dem Argument, Genossenschaften müssten eigentlich billiger sein als der Durchschnitt, weil es ja nicht ihr Ziel ist, hohe Renditen zu erwirtschaften, wich Kowalski aus.

Im Falle des Elisabethgehölzes gaben sich Budig und Jung überzeugt, dass die VHW nur abreiße, damit sie im Neubau höhere Mieten fordern könne. „Das Haus wurde gezielt heruntergewirtschaftet“, sagte Budig. Der VHW-Vorstand sehe den Abriss als rentabler an als die Sanierung.

Mieterberater Chychla kommentierte das mit einem Bonmot: „Genossenschaften müssen aufpassen, dass sie – ehemals gemeinnützig – nicht plötzlich als unnütz und gemein gelten“, sagte er.

Einen Abriss aus Gründen der Mieterhöhung würde er nie vornehmen, versicherte Kowalski. Der Altoba solle das Haus am Elisabethgehölz der VHW abkaufen, schlug Budig vor. „Die Idee finde ich gut“, sagte Kowalski. Er wolle dem Vorstand gleich morgen den Vorschlag der „Übernahme“ unterbreiten, sagte er unter Beifall.  MAREN MEYER