Wachstum im Spagat

GRÜNE WELLE Krise ist auf der weltgrößten Biomesse kein Thema. Die Akteure werden vom anhaltenden Aufwärtstrend gefordert

Import ist angesagt: Der Umsatz steigt stärker als die hiesigen Anbauflächen

VON OLE SCHULZ

Die Liste der Lebensmittelskandale der letzten Jahre ist nicht nur lang, sondern reißt auch nicht ab. Die Folgen davon sind vom 15. bis zum 18. Februar Thema in Nürnberg: auf der „Weltleitmesse“ Biofach & Vivaness. Das Stichwort lautet: Wachstum. Denn die Verbraucher reagieren auf die Skandale, indem sie mehr im Naturkosthandel einkaufen. Die Biobranche in Deutschland wächst jedenfalls weiter – trotz aller wirtschaftlichen Turbulenzen in der Eurozone und einer Schwächephase in den Jahren 2009 und 2010. Der Umsatz mit Bioprodukten stieg von 6,02 Milliarden Euro in 2010 auf 6,59 Milliarden im vergangenen Jahr.

Der Biofachhandel hat einen großen Anteil an der positiven Entwicklung: Laut Bundesverband Naturkost Naturwaren (BNN) hat er 2011 um rund 8 Prozent zugelegt und lag erstmalig über 2 Milliarden Euro.

Allerdings zählt zum Biofachhandel eben nicht nur der kleine Laden um die Ecke, sondern gerade auch die Biosupermärkte. „Es gibt den Trend zu größeren Bioläden mit mindestens 400 Quadratmetern Verkaufsfläche“, Alexander Gerber, Geschäftsführer des Bunds Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW).

Rund ein Drittel des gesamten Biomarkts macht also der Fachhandel aus – Tendenz steigend. Discounter und gewöhnliche Supermärkte hingegen haben ihr Ökosortiment aufgebaut. „Dem weiteren Mengenwachstum sind daher Grenzen gesetzt, denn jeder zusätzliche Regalmeter steht in Konkurrenz zu konventionellen Waren“, so Gerber. Gleichzeitig gibt es immer noch große regionale Unterschiede und Stadt-Land-Disparitäten – im Süden und Westen Deutschlands gibt es eine größere Dichte an Bioläden als im Norden und Osten – oft auch in kleineren Städten und Gemeinden. Als Faustregel gelte, so Gerber, dass sich ein Ökosupermarkt in Städten ab 60.000 Einwohnern trägt. Dieses Potenzial sei bei Weitem noch nicht ausgeschöpft.

Die in den letzten Jahren stetig wachsende Nachfrage nach Biowaren steht in Kontrast zur eher schleppenden Entwicklung des Ökolandbaus in Deutschland. Zwar wurde dieser 2010 erstmalig auf über 1 Millionen Hektar betrieben, das entspricht aber nur rund 6 Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche. Damit ist man vom Ziel der Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung, 20 Prozent ökologisch bewirtschaftete Fläche zu erreichen, noch weit entfernt.

Eine Folge ist, dass zunehmend ein erstaunlich großer Anteil des Biosortiments aus dem Ausland kommt – laut der „Bioimport“-Studie vom Vorjahr bei Möhren zum Beispiel annährend die Hälfte. Für mehr Bio aus deutschen Landen, so heißt es in der Untersuchung lapidar, müssten mehr Betriebe zusätzliche Flächen auf Bio umstellen.

Ohne eine bessere Förderung des Ökolandbaus auf Landes-, Bundes- und EU-Ebene dürfte das kaum möglich sein. Noch würden viele Landwirte die „weitreichende Entscheidung“, auf Ökolandbau umzustellen, wegen unzureichender oder unzuverlässiger Hilfen nicht wagen, sagt Gerber. Vor allem die ersten zwei Jahre der Umstellung sind eine Herausforderung: Die Landwirte wirtschaften bereits nach den neuen ökologischen Vorgaben, ihre Ware müssen sie aber zu den herkömmlichen, niedrigeren Preisen verkaufen.

Wichtig für die künftige Entwicklung ist nach Gerber vor allem die konkrete Ausgestaltung der Zweisäulen-Agrarpolitik der EU nach 2013, die derzeit in Brüssel verhandelt wird. Nach BÖLW-Vorstellungen sollten bereits die Direktzahlungen an die Landwirte in der ersten Säule an strengere ökologische Mindeststandards gekoppelt werden, als jetzt von der EU-Kommission vorgeschlagen, während in der zweiten Säule der Mindestanteil für „Agrarumweltmaßnahmen“ auf 50 Prozent erhöht sowie der ökologische Landbau als verpflichtender Bestandteil festgeschrieben werden müsse. Sollte das umgesetzt werden, dann könnten Bundesländer wie Schleswig-Holstein oder Brandenburg auch nicht mehr die Bio-Umstellungsprämien streichen.

Bislang gibt es allerdings Widerstände gegen solche weitreichenden Forderungen. So hat die EU-Kommission zunächst vorgeschlagen, dass auf maximal 70 Prozent der Ackerflächen eines Betriebs eine einzige Frucht stehen dürfe – laut BÖLW ist das völlig ungeeignet, um den „schädlichen Trend der Ausbreitung von Monokulturen“ entgegenzuwirken. „Wir halten eine dreifeldrige Fruchtfolge für sinnvoll, die den Anteil einer einzelnen Frucht auf 50 Prozent begrenzt“, so Gerber.

Doch trotz aller Kritik an den aktuellen Reformplänen zur EU-Agrarpolitik ist Gerber alles in allem optimistisch – zumindest auf lange Sicht. Die Landwirtschaft werde als Wirtschaftssektor wegen knapper fossiler Brennstoffe weiter an Bedeutung gewinnen. Ohne das ökologische Gleichgewicht aus dem Tritt zu bringen, sei eine „energieautarke Landwirtschaft“ unabdingbar. Das könne nur der Ökolandbau gewährleisten.