Die Philosophie der Küche

ETHIK Als er Vater wurde, schrieb Jonathan Safran Foer ein Buch über den Fleischverzicht. Eine These des Bestsellers: Wir können nicht gleichzeitig Tiere mögen und essen. Martin Kaluza lässt sich kein schlechtes Gewissen einreden. Seine Katze hilft ihm dabei

Es gibt nur zwei Auswege: Man wird zum Vegetarier. Oder man legt sich eine Katze zu

VON MARTIN KALUZA

Die Zeit, in der Jonathan Safran Foers Vegetarierbuch „Tiere essen“ auf den Markt kam, fiel ziemlich genau mit der Zeit zusammen, als Rakete zum ersten Mal eine Maus vor meiner Tür ablegte. Rakete ist ein Kater, ich habe es mir zur Gewohnheit gemacht, über ihn zu sprechen, sobald die Kollegen am Mittagstisch anfangen, über ihre Kinder zu reden. In vielerlei Hinsicht machen junge Eltern sehr ähnliche Erfahrungen wie junge Katzenbesitzer. Ich verfolge Raketes Wachstum und sein Verhalten so aufmerksam wie seinen Stuhlgang. Ich fluche, wenn er mich nachts nicht durchschlafen lässt. Ich bemühe mich geduldig, ihm seine Grenzen aufzuzeigen. Ich sorge mich um seine Ernährung. Natürlich halte ich ihn für hochbegabt.

Manchmal stelle ich mit Rakete heimlich kleine Experimente an und hoffe, dass er es nicht mitbekommt. Ich weiß, dass meine Kollegen mit ihren Kindern auch kleine Experimente anstellen. Ich habe versucht, nur testweise einmal, ob man ihn nicht vegetarisch ernähren könnte. Mal gab ich ihm Gemüse, mal gemischtes Futter. Rakete versuchte verschiedene Strategien, um das abzuwenden. Er ignorierte seinen Napf. Er miaute und warf mir vorwurfsvolle Blicke zu. Er öffnete nachts meine Schlafzimmertür, führte mich zu seinem Futternapf, in dem unangetastet das Gemüse lag, und miaute mit Nachdruck. Am Ende gaukelte er mir einen Hungerstreik vor, aber ich weiß, dass er bei seinen Streifzügen im Hof heimlich Kleintiere erlegte. Als er demonstrativ den Gartenrotschwanz fixierte, von dem er weiß, dass er mir am Herzen liegt, wurde ich weich. Rakete hatte mich mit dem Leben eines anderen Tieres erpresst. Man macht eine Katze nicht zum Vegetarier. Tiere fressen. Und zwar weitgehend, was sie wollen.

Ich hielt Rakete Foers Buch vor die Nase. „Der Mann will Tiere vor Tod und Grausamkeit schützen. Du bist doch auch ein Tier, Dir müsste das gefallen!“ Mir ist völlig klar, dass Katzen unsere Sprache nicht verstehen. Ich habe das mehr gedacht, als gesagt. Für eine vegetarische Ernährung sprechen ökologische wie ethische Gründe. Fleisch ist ein Klimakiller. Die Zustände in Tierhaltung und Schlachthöfen sind barbarisch. Foer beschreibt sie und spitzt das Dilemma zu, dass wir (angeblich) nicht gleichzeitig Tiere mögen und essen können.

Eigentlich sagt Foer nichts substanziell Neues. Aber mit ihm hat ein junger Vorzeigeintellektueller ein Thema zum richtigen Zeitpunkt aufgegriffen. Vegetarismus ist – davon mag man halten, was man will – zum Lifestyle-Thema geworden. „Tiere essen“ ist, wie auch Karen Duves in der gleichen Zeit erschienenes Buch „Anständig essen“, eine Art Selbstvergewisserung von jemandem, dem bei seinem alltäglichen und selbstverständlichen Fleischverzehr schon immer unwohl war. Vegetarier zu werden ist eine rationale Anstrengung – zumindest, wenn man Fleisch einmal mochte.

Ethiktechnisch gesprochen sind radikale Lösungen immer der sicherste Weg. Wer die industrielle Fleischherstellung nicht unterstützen will, macht keinen Fehler, wenn er ganz auf Fleischkonsum verzichtet. Das „Sonntagsbratenmodell“ hingegen stellt einen Kompromiss dar. Doch auch der hat durchaus seine ethischen Reize: Wer den Fleischverzehr stark einschränkt und dabei auf Biofleisch umsteigt, verbessert durch sein Konsumverhalten die Lebensbedingungen der Tiere und gönnt sich selbst ein Stück Fleisch besserer Qualität – eine Win-win-Situation, die zumindest aus Sicht eines Utilitaristen einen Fortschritt darstellt. Die industrielle Fleischindustrie schwächt der Biosonntagsbratesser genauso wie der Vegetarier. Weil er das Töten von Tieren jedoch grundsätzlich weiter hinnimmt, muss er sich den Vorwurf des Vegetariers gefallen lassen, er verringere ein Übel, das er noch konsequenter bekämpfen könnte. Vegane Ernährung, die strikte Ablehnung von Produkten tierischen Ursprungs bis hin zu Honig, Wolle oder Bierhefe, ist noch einmal anders begründet. Sie fußt auf einer Ethik, die Tieren nicht nur das Recht auf körperliche Unversehrtheit zugesteht – Tiere dürfen in gar keiner Form ausgebeutet werden.

Foer begann die Recherchen zu „Tiere essen“, als er Vater wurde. Die Geburt seines Sohns hat ihn, zuvor Fleischesser und Gelegenheitsvegetarier, dazu bewogen, seine Essgewohnheiten strengeren moralischen Kriterien zu unterwerfen. Ich glaube, dass Rakete auch Einfluss auf meine Essgewohnheiten hatte, unter anderen Vorzeichen allerdings.

Ich muss zugeben, dass mir beide Respekt abnötigen; Jonathan Safran Foer, weil er ein kluges Buch geschrieben hat, ganz kantianisch auf die Macht des Arguments vertraut und den Finger in eine offene Wunde legt; Rakete, weil er seine Vorlieben mit Haltung vertritt und gewissermaßen eine Naturrechtsposition einnimmt.

Erst kürzlich stellten Forscher der Universität Stanford fest, Fleischesser hätten oft das Gefühl, Vegetarier verurteilten sie moralisch. Sie fühlten sich zu schlechten Menschen degradiert und reagieren mit Abwehr, so die Psychologen. Wenn das stimmt, gibt es eigentlich nur zwei Auswege: Man wird selbst zum Vegetarier. Oder man legt sich eine Katze zu.