Logik des Andersseins

RASSISMUS Neue Formen der Diskriminierung kommen auch ohne das Wort „Neger“ aus: Die Hamburger Soziologin Sina Hätti zeigt, wie auch Autoren gut gemeinter Kinderbücher rassistische Vorurteile verstärken – und damit im Kinderzimmer salonfähig machen

„Kinder mit Migrationshintergrund spielen oft passive Rollen“

Sina Hätti, Soziologin

VON ALEXANDER KOHN

Die Regalbretter in der Kinderbuchabteilung biegen sich unter den Geschichten junger Detektive und gewitzter Heldinnen mit roten Zöpfen. Zwischen Sommersprossen und bunten Abenteuern verbirgt sich in vielen Kinderbüchern aber auch Rassismus. Während das in älteren Kinderbüchern an rassistischen Signalwörtern noch leicht zu erkennen war, wird es heute selbst für Erwachsene immer schwieriger, diskriminierende Ideen zwischen den Zeilen zu entdecken.

„Viel wird über den Kontext vermittelt“, sagt die Hamburger Soziologin Sina Hätti, die ihre Bachelorarbeit über „Rassismus und die Konstruktion von Weißsein in Kinderbüchern“ geschrieben hat. Als Beispiel nennt Hätti Pippi Langstrumpf: Als Kind habe sie viel Spaß mit Astrid Lindgrens wilden Geschichten gehabt, doch wenn sie heute ihrem kleinen Sohn daraus vorlese, vergehe ihr das Lachen. Grund dafür sind Aussagen wie, dass Kinder in Argentinien nie zur Schule gehen oder: „In Indien gehen sie alle rückwärts.“ Das sei das notorische Muster des unterschwelligen Rassismus: „Die sind so und wir sind anders.“

Eine andere Spielart des modernen Rassismus findet sich in Geschichten über Integration. „Kinder mit Migrationshintergrund spielen hier oft passive Rollen“, sagt Hätti. So beginnt das Büchlein „Vimala gehört zu uns“ von 2002 mit Vimalas erstem Schultag. „Bist du in einen Farbtopf gefallen“, begrüßen sie die anderen Kinder, allen voran die Großen aus der dritten Klasse. Als Helden der Geschichte werden Ida und Henri aktiv, die den Größeren die Stirn bieten und Vimala jeden Morgen daheim abholen, um sie auf dem Schulweg zu beschützen. Jeden Tag machen mehr Kinder mit, am Ende hat Vimala gut 20 Bodyguards, die sie als ihre besten Freunde bezeichnet. „Es ist doch kein Idealbild für ein gleichberechtigtes Miteinander, dass Vimala ihren Beschützern zum Dank die Freundschaft antragen muss – unabhängig davon, ob sie die einzelnen Kinder überhaupt mag“, sagt Hätti.

Rassismus kann auch von den Eltern ausgehen, wie in der bunt bebilderten Erzählung „Wie ich Papa die Angst vor den Fremden nahm“ von 2003. Das Cover zeigt eine spiegelbildliche Situation: Zwei Männer tragen den gleichen grünen Pulli, die gleichen schwarzen Hosen und braunen Schuhe. Beide haben eine Zeitung gekauft, Brot und Lauch lugen aus ihren identischen Einkaufstaschen hervor. Beide haben auch ihre Töchter dabei, die sich anlächeln. Doch nach dieser kurzen Begegnung gesteht einer der Väter seiner Tochter, dass er sich vor dem anderen fürchtet.

Da hilft nur ein krachender Kindergeburtstag: Banja, deren Familie einst aus Tansania nach Deutschland kam, lädt das andere Mädchen und ihren xenophoben Vater zu ihrer Party ein. Doch die Darstellung von Banjas Familie verstärke alle rassistischen Vorurteile, statt sie abzubauen, sagt Hätti: Sandalen, Trommeln, Löwenfelle, Federbüsche auf dem Kopf und Speere in der Hand, Messer, Pfeil und Bogen. Autor Rafik Schami spricht es im Text unumwunden aus: „Krieger“. Das doppelseitige bunte Bild der Partyszene macht das auch für die kleinsten Kinder deutlich. Gemalt wurde es von Ole Könnecke, der dafür den Illustrationspreis des Gemeinschaftswerks für Evangelische Publizistik bekommen hat.

Spannend sei auch der Vergleich von Illustrationen in älteren und neueren Ausgaben von Pippi Langstrumpfs Abenteuern in Taka-Tuka-Land, sagt Hätti und schlägt zwei Bücher auf, die 2005 und 2008 vom Hamburger Verlag Friedrich Oetinger auf den Markt gebracht wurden. Schwarze werden in der älteren Version als sehr ähnlich dargestellt, ohne deutliche Gesichtszüge. Auf dem neueren Bild sind Mädchen von Jungs deutlich zu unterscheiden und klare Konturen legen einen Schluss auf unterschiedliche Charaktere näher als bei der Gleichmacherei der älteren Illustration.

„Man kann Rassismus nicht von Kindern fern halten“, sagt Hätti. Deshalb würde sie mit ihrem Sohn nicht nur das eine Pippi-Buch lesen, sondern beide vergleichen und über die Unterschiede sprechen. Ausgehend von einer weniger gut gelungenen Geschichte könne man mit Kindern auch überlegen, wie die Handlung anders verlaufen könnte, schlägt Hätti vor.

Aber auch die Verlage seien in der Pflicht: „Jedes sechste Kind in Deutschland hat einen Migrationshintergrund, aber trotzdem scheint das Denken vorzuherrschen, dass sie nicht zur Gesellschaft gehören – denn es gibt keine guten Bücher für sie.“ Vielleicht stehe dahinter das Vorurteil, dass zu Hause angeblich weniger vorgelesen oder Deutsch gesprochen würde. „Fair wäre es, wenn es neben diesen Integrationsgeschichten auch ganz normale Erzählungen für sie gibt“, sagt Hätti. Die würden dann davon handeln, wie sie ganz normal zur Schule oder einkaufen gehen – wie alle anderen Kinder auch.