Verrußte Fassaden

FOTOGRAFIE Das Fotobuch „Schanze, 1980“ zeigt das Hamburger Viertel lange vor seiner Gentrifizierung

Wer in Hamburg von Gentrifizierung spricht, der spricht, zumindest seit einigen Jahren, stets vom Schanzenviertel: Die Mieten in dem zentral gelegenen, aber teils lange vernachlässigten Quartier steigen, noch die letzte Brache lohnt das Draufstellen von Wohneigentum, und mit der Kaufkraft spätestens sprießt allerorten die Gastronomie und bringt ein Mehr an lärmendem Publikum aus den Vororten gleich mit. So weit, so exemplarisch.

Vor denen, die heute das Verdrängtwerden beklagen und manchmal sogar ihr eigenes meinen, lebten aber schon die im Viertel, die Thomas Henning in seinem Fotoband zeigt: Selbst seit 1976 im Viertel ansässig, fotografierte der gebürtige Lübecker in den späten 1970er- und frühen 1980er-Jahren die Schanze. Die war damals, so schickt er voraus, „eine unwirtliche Nachbarschaft“, in der noch nicht-kreativ und umso handfester gearbeitet wurde: „Zwar sorgte das Gewürzwerk Hermann Laue in der Schanzenstraße für gut aromatisierte Luft, doch konnte der Geruch nach gemahlenem Zimt und Nelken den Gestank, der im Sommer vom Schlachthof herüberwehte, nicht überdecken.“

Dass es entgegen seiner eigenen Aussage damals aber durchaus etwas zu sehen gab zwischen verrußten Arbeiterhaus-Fassaden und kargem „Gastarbeiter“-Kulturverein, das beweisen Hennings Fotos: Die sind bei aller erkennbaren Liebe für seinen Gegenstand angenehm arm an Viertel-Nostalgie.

Verzichtet haben Autor und Verlag erfreulicherweise auf die allzu nahe liegende Versuchung, den Bildern von damals den jeweiligen Ist-Zustand gegenüberzustellen: Das nämlich kann, wer will, auch einfach selbst machen. Allzu viel freilich wird er nicht wiederfinden.  ALDI

Thomas Henning: Schanze, 1980. Junius-Verlag 2012, 96 S., 65 Farbabb., 19,90 Euro