Das erweiterte Klassenzimmer

PÄDAGOGIK Ein Hamburger Architekt baut Schulen, in denen auch Treppenhaus und Flure als Lernort dienen. Seit dem Schulfrieden beklagt er mangelnde Innovationsbereitschaft. Ein Buch soll nun den Prozess voranbringen

■ Pläne und Fotos der beiden Schulen sind im Rahmen des Architektursommers vom 26. Juli bis 18. August in der Galerie Renate Kramer zu sehen, Münzplatz 11, 20097 Hamburg. Dienstag–Freitag 12–18 Uhr, Samstag 11–15 Uhr.

■ Pädagogische Architektur: Der von der Montag-Stiftung geprägte Begriff beschreibt das Zusammenspiel der am Schulbau beteiligten Akteure wie den Pädagogen, den Architekten und den Kommunen.

■ Das Buch zum Thema heißt „Schulen planen und bauen. Grundlagen und Prozesse“, 345 Seiten, 34,80 Euro. Veröffentlicht im Jovis-Verlag und im Friedrich-Verlag. ISBN Jovis-Verlag: 978-3-86859-124-8, ISBN Friedrich-Verlag: 978-3-7800-4954-4.

■ Schulfrieden: Nach der gescheiterten Primarschule verpflichteten sich 2010 CDU, GAL und SPD, zehn Jahre keine Änderungen an der Schulstruktur vorzunehmen.

VON DARIJANA HAHN

Begeistert geht Kay Stöck durch die Stadtteilschule am Stübenhofer Weg in Kirchdorf-Süd und sagt dabei solche Sachen wie „So muss Schule sein“ oder „Hier entsteht eine neue Kultur von Schule“. Dabei zeigt der 61-jährige Schulleiter auf den Teppichboden, auf die breiten Treppen im Foyer, auf der sich die Schüler während der Pausen aufhalten, sowie auf die vielen Lerngelegenheiten in dem großflächigen Raum, der Aula, Flur und erweitertes Klassenzimmer zugleich ist.

Denn in dem 2011 fertiggestellten Neubau gibt es keine klassischen Flure mehr, die ausschließlich als Wege benutzt werden. Vielmehr soll der Raum außerhalb des Klassenzimmers von Schülern und Lehrern als Lern- und Aufenthaltsfläche benutzt werden können, damit, so Stöck, „das dramatische Kernproblem von Schule aufgehoben“ wird, indem „das Prinzip ‚Ich und meine Klasse‘ dem Prinzip ‚Ich und meine Schule‘“ weicht.

Streit ums Schneeschieben

Ebenso überzeugt, dass der Raum neben den Mitschülern und den Lehrern der dritte Pädagoge sei, ist auch Susanne von Stebut. Die 44-jährige Schulleiterin der Grundschule Neugraben-Fischbek sitzt andächtig in dem kürzlich bezogenen Neubau, der nach den gleichen architektonischen Richtlinien konzipiert wurde. „Kinder haben ein Anrecht auf Ästhetik“, betont von Stebut und guckt dabei in den lichtdurchfluteten, sich über drei Stockwerke hinwegziehenden Raum, der multifunktional zu nutzen ist.

Gestaltet wurden beide Schulen vom Hamburger Architekten Marc-Olivier Mathez, dessen wegweisendes innenarchitektonisches Konzept sich im gemeinsamen Dialog zwischen Schulleiter und Architekt entwickelte. Während zu Beginn der Bauzeit der Schule am Stübenhofer Weg – im Jahr 2008 – vor dem Hintergrund der geplanten Schulreform ein allgemein offenes Klima von Seiten der Behörde und des Bauherrn, der städtischen Wohnbaugesellschaft GWG, hinsichtlich des innovativen Raumkonzepts herrschte, schlugen Mathez beim 2010 begonnenen Bau der Schule Neugraben-Fischbek immer rauere Winde entgegen, die er teilweise als „eine Art Krieg“ empfunden hat.

„Die GWG beklagte immer wieder den angeblich mangelnden Brandschutz“, sagt Mathez, der erklärt, dass die für den Brandschutz notwendigen Fluchtwege nach draußen verlegt wurden. Wobei die GWG nun die erhöhten Kosten aufgrund der Räumungsarbeiten im Winter beanstandet.

Dass dieses in Skandinavien weit verbreitete Baukonzept, in Hamburg nicht weiter verfolgt zu werden scheint, erklärt sich Mathez mit dem sogenannten „Schulfrieden“, bei dem seiner Meinung nach nun keine inhaltlichen Konzepte mehr diskutiert, sondern lediglich Millionen in die energetische Sanierung der Fassaden investiert werden.

Aus Sicht der Behörden liegt indes die Entscheidung über die Gestaltung der Räumlichkeiten bei den Schulen selbst. „Nach den Erfahrungen von Schulbau Hamburg favorisieren nicht alle Schulleitungen die räumliche Offenheit, so wie sie in den beiden Neubauten realisiert wurde“, sagt Daniel Stricker, Sprecher der für den Schulbau zuständigen Finanzbehörde.

Viele gelungene Beispiele

„Viele Pädagogen denken noch konventionell“, räumt auch Frauke Burgdorff ein, die sich als Raumplanerin und Vorsitzende des Projektes „Urbane Räume“ der Montag-Stiftung in Bonn intensiv mit dem Thema auseinandersetzt, das so „aktuell ist und doch ein Wahrnehmungsproblem“ hat. Dass es aber in Deutschland bereits viele gelungene Beispiele gibt, die „pädagogischer Architektur“ entsprechen, zeigt sie in dem gerade erschienenen Buch „Schulen planen und bauen. Grundlagen und Prozesse“. Der Mitherausgeber Karl-Heinz Imhäuser, Pädagoge und Vorsitzender des Stiftungsprojektes „Jugend und Gesellschaft“, ist sich sicher, dass dieses Buch eine Art „Schneeball ist, der die Lawine ins Rollen bringen und einen offenen Geist in die Schulen tragen“ wird.