Der lange Weg zur Gerechtigkeit

ARBEITSZEIT Rechtswidrige Mehrarbeit: Ver.di erstreitet Entschädigungen für Hamburgs Feuerwehrleute

Dienstplanmäßig verankerte Notstands-Überstunden sind unzulässig

Es kann lange dauern, Gerechtigkeit einzuklagen – wenn eine Behörde eine rechtswidrige Maßnahme anordnet. Hamburger Feuerwehrleute und die Gewerkschaft Ver.di brauchten fast 14 Jahre und sieben Gerichte, um einen finanziellen Ausgleich für rechtswidrige Mehrarbeit durchzusetzen.

1998 glaubte der damalige Hamburger Innensenator Hartmuth Wrocklage (SPD), den großen Coup zu landen. Um die Haushaltsvorgaben seines rot-grünen Senats zu erfüllen, kürzte er 175 Stellen bei der Feuerwehr. Um im Ernstfall sofort immer genug staatliche Löscher an der Hand zu haben, verfügte er zugleich, gegen den Widerstand des Personalrates und Ver.di, die Wochenarbeitszeit von 48 auf 50 Stunden anzuheben. Das sei wegen der enthaltenen Bereitschaftszeit vertretbar.

Ver.di-Feuerwehrleute zogen vor das zuständige Verwaltungsgericht (VG). Der Rechtstreit landete dann nach einem Zwischenstopp am Oberverwaltungsgericht (OVG) beim Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) in Leipzig. Dieses entschied sich, den Komplex dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) vorzulegen. Denn die Luxemburger Richter hatten in einem parallelen spanischen Ärzte-Verfahren, das auch den Feuerwehr-Rechtsstreit tangieren könnte, entschieden, dass Bereitschaftsdienste als reguläre Arbeitszeit anzusehen sind.

2005 gab der EuGH seine Entscheidung bekannt. Die 50-Stunden-Woche bei der Hamburger Feuerwehr verstößt gegen internationales Recht. Grundsätzlich darf bei staatlichen Rettungskräften die Arbeitszeitnorm von 48 Stunden inklusive Bereitschaftsdiensten nicht überschritten werden.

Innensenator Udo Nagel (parteilos) setzte das Urteil zwar um, doch eine Entschädigung im Volumen von 20 Millionen Euro für zu Unrecht geleistete Überstunden wollten der damalige CDU-Senat und auch die Nachfolgeregierungen nicht zahlen. So musste Ver.di erneut den Weg durch die Verwaltungsrecht-Instanzen antreten. Im Februar 2011 entschied das OVG dann, dass die Stadt für „die rechtswidrig angeordnete Arbeitszeit“ zwischen 1998 und 2005 zwei Stunden pro Monat vergüten muss.

Das Gericht erkannte die übrigen sechs Stunden nicht an – mit der Begründung, dass nach dem Beamtenrecht in der Hansestadt Staatsbedienstete in Notfällen zu sechs unbezahlten Überstunden verpflichtet werden können. „Dienstplanmäßig verankerte Notstands-Überstunden sind unzulässig“, schimpfte der langjährige Feuerwehr-Personalrat Werner Lehmann, sodass Ver.di erneut vor das BVerwG ziehen musste.

Im April dieses Jahres versuchte der neue Innensenator Michael Neumann (SPD) noch die Notbremse zu ziehen, indem er erstmals die Auszahlung von 2,4 Millionen Euro an 1.145 Feuerwehrleuten für die geleistete Mehrarbeit anordnete. Doch der Zug war nicht mehr zu stoppen. Das BVerwG entschied nun Ende Juli, dass Hamburg Ausgleichzahlungen im Umfang von rund 20 Millionen Euro leisten muss. Die Schelte angesichts der Haushaltsmisere an seine Vorgänger ist groß. „Die Verurteilung Hamburgs ist das Ergebnis schwerwiegender Fehler“, schimpft Innensenator Neumann.

Zum einen hätte die Arbeitszeit ohne Zustimmung des Personalrats nicht erhöht werden dürfen. Zum anderen habe Hamburg nach dem EuGH-Urteil versäumt, Ausgleichsleistungen zu gewähren oder finanzielle Vorsorge für Entschädigungen zu treffen, so Neumann.

Freude hingegen bei der Ver.di-Fachsekretärin Sieglinde Frieß. „Wir sind durch alle Instanzen gezogen und haben am Ende gewonnen“, sagt sie. „Ein toller Erfolg, dass die Gerechtigkeit doch noch gesiegt hat.“

KAI VON APPEN