„Der richtige Orgasmus bleibt aus“

FACEBOOK Julia Seeliger hatte 4.700 Facebook-Freunde und führte viele Debatten mit ihnen. Vor vier Monaten hat sie ihr Profil gelöscht

■ 33, ist Journalistin, Bloggerin und taz-Kolumnistin. Als „zeitrafferin“ schreibt sie auf www.seeliger.cc. Zurzeit lebt sie in einem kleinen Dorf südlich von Hamburg.

INTERVIEW DARIO SARMADI

taz: Julia, du hast Nein zu Facebook gesagt. Verweigerst du dich dem technischen Fortschritt?

Julia Seeliger: Überhaupt nicht. Im Gegenteil, für mich ist Facebook eben nicht innovativ.

Wieso das denn nicht?

Facebook ist langweilig. Ein börsennotiertes Unternehmen gibt mir vor, wie ich zu denken und zu schreiben habe. Facebook ist eine Selbstbeschäftigungsanstalt für Leute, die nichts Besseres zu tun haben und die nach Bestätigung suchen. Die Likes für ihre Bilder und Posts bescheren ihnen viele kleine Orgasmen – aber der richtige Orgasmus bleibt aus. Den kriege ich nur beim Sex.

Diese vielen kleinen Orgasmen fehlen dir nicht?

Nein, ich fühle mich super. Ich bin ruhiger geworden, bin nicht mehr so gehetzt, habe mehr Zeit, lese mehr Bücher und teile meine Gedanken und Meinungen in meinem Blog mit.

Du hattest knapp 5.000 Facebook-Kontakte und hast dort viele Debatten geführt. Tut es dir nicht leid, dass du dieses Publikum verloren hast?

Mir sind wenige aufmerksame Leser wichtiger als dreitausend Klicks am Tag in meinem Blog.

Und wie hältst du Kontakt mit deinen Freunden, die du nicht treffen kannst?

Ich benutze andere Chatdienste. Ich will lieber im echten Internet sein als in einer Simulation des echten Internets. Ich will lieber im offenen Meer segeln, statt von einer Firma mit ihrer amerikanischen Moral bevormundet zu werden.

Wie bevormundet Facebook?

Apple hatte einst die Parole „Freedom from Porn“ ausgegeben. Auch bei Facebook bin ich nicht frei. Ich kann dort nicht handeln, wie ich will, sondern werde eingeschränkt. Inhalte, die Facebook nicht passen, werden zensiert, wie zum Beispiel das Peniscover des Zeit-Magazins.

Aber Diskurs findet doch statt. Jeder kann posten und kommentieren, wann und wie er will.

Die Debattenkultur bei Facebook ist anstrengend. Nutzer können ihre Kommentare selbst löschen. Das hört sich nach einer kleinen Sache an, aber wenn jemand Quatsch schreibt und kurze Zeit später wieder löscht, kann ich ihn nicht auf das Argument festnageln. Da fühle ich mich ausgelutscht und ausgespuckt.

Was ist daran so schlimm, mal einen Kommentar zu löschen?

Ich will nicht, dass die Wahrheit leidet. Ich will ehrliche und faire Debatten. Das ist möglich, gerade im Internet, wo alles schriftlich sichtbar ist. Bei Facebook ist das nicht so.

Und wo debattierst du jetzt?

In meinem Blog. Da kann ich Kommentare sammeln wie in einem Fischernetz. Da kommen die Leute nicht mehr raus. Löschen kann nur ich, und das ist auch gut so.