Ist das noch Weltmusik?

ESSAY Dank Youtube & Co gibt es immer mehr Trends, die über Kontinente hinweg funktionieren, und Künstler, die mühelos Grenzen überwinden. Nicht immer ist klar, was dabei ernst gemeinte Tradition, Ironie, Vermarktung oder freies Spiel mit popkulturellen Zeichen ist

VON DANIEL BAX

Ich hasse Weltmusik . So lautete der Titel eines berühmten Essays, den der amerikanische Rockstar David Byrne vor 14 Jahren in der New York Times veröffentlichte. Seine scharfe Kritik richtete sich weniger gegen die Musik und die Musiker, die gewöhnlich unter der Bezeichnung „Weltmusik“ rubriziert werden. Im Gegenteil: Der Witz war gerade, dass David Byrne selbst in den USA und darüber hinaus weithin als „Mister Weltmusik“ bekannt war und ist. Mit seinem Label Luaka Bop hat er viel dafür getan, insbesondere lateinamerikanische Künstler und Bands über ihren Kontinent hinaus bekannt zu machen.

Die Polemik David Byrnes richtete sich vielmehr gegen den Begriff „Weltmusik“ und die Art und Weise, von der er meinte, wie dieses Genre von einem westlichen Publikum rezipiert wird. Er beklagte, durch diesen Begriff werde eine künstliche Trennung der Welt in „wir“ und „sie“ zementiert. Das Moderne, Subversive und Originelle an dieser Musik werde ausgeblendet und auf eine regionale Folklore reduziert. Am Ende würden damit oft genug nur nationale Klischees bedient, fürchtete David Byrne.

Andere Länder, andere Stile

Es gab von Anfang an eine Menge Dinge, die einem weltweiten Massenappeal von Künstlern aus der sogenannten Peripherie im Wege standen. Nicht nur die Sprache, in der gesungen wurde – ein Argument, das in den USA und Großbritannien übrigens viel schwerer wog als in Deutschland, wo man es gewohnt ist, nicht immer alle Texte zu verstehen. Selbst Nick Gold, der britische Produzent des weltweit erfolgreichen Buena Vista Social Club, musste sich in seiner Heimat fragen lassen, ob seine alten Herren aus Kuba nicht auch auf Englisch singen könnten. In Großbritannien hielt sich der Erfolg seiner Truppe wohl auch aus diesem Grund in Grenzen.

Ein weiteres Problem stellten Geschmacksunterschiede dar, die sich manchmal nur in Nuancen zeigen. Was den einen der letzte Schrei ist, wird von anderen als kitschig empfunden. Um ein intellektuelles Publikum anzusprechen, musste eine allzu grelle Ästhetik oft genug heruntergedimmt werden. Hinzu kam, dass man sich nicht überall auf der Welt auf dem gleichen Stand der Technik und der Mode befindet und befand. Oft genug benutzten Musiker ein veraltetes Equipment oder standen auf musikalische Effekte wie Hall und Beats vom Drumcomputer, die in westlichen Ohren altbacken oder gar trashig klangen.

Manche Weltmusik-Produzenten griffen deshalb zu einem kleinen Trick: Sie nahmen ihren Musikern – ob aus Mali, Mazedonien oder von den Kapverden – einfach ihre Keyboards und Drum-Computer weg. Dieser „acoustic turn“ machte diese Musik in westlichen Ohren oft ansprechender und gefälliger. Er erweckte aber auch den falschen Eindruck, als wären die Entwicklungen der Pop-Moderne an manchen Regionen der Welt völlig spurlos vorbeigegangen. Als hätten solche Musiker wie Cesaria Evora, Oumou Sangaré oder Esma Redzepova all die Zeit, bevor sie von einem westlichen Publikum entdeckt wurden, auf einer Insel der Seligen gelebt, ohne Steckdosen, Fernsehen und andere schädliche Einflüsse. Das ist mit ein Grund, warum Weltmusik gern mit Klischees wie heiler Welt, Urlaubsträumen und Exotismus assoziiert wird.

Andere Förderer der Weltmusik wie etwa Peter Gabriel gingen genau den entgegengesetzten Weg. Sie kombinierten die Klänge aus aller Welt mit moderner Ambient-Elektronik oder aktuellen Club-Beats oder motzten sie zu Pop-Produktionen nach westlichem Muster auf, um ein westliches Publikum zu überzeugen.

Die eine Methode kommt den Erwartungen und Sehnsüchten eines westlichen Publikums entgegen, indem sie an Klischee- und Wunschbilder von Ursprünglichkeit, Authentizität und vermeintlich paradiesischer Unberührtheit anknüpft. Die andere Methode dimmt die kulturell-ästhetischen Unterschiede so weit herunter, damit sie kein Hindernis mehr bilden – und oft genug kaum noch zu hören sind.

Beide Methoden haben funktioniert, auch wenn das Ergebnis manchmal etwas von Mimikry hatte. Etwa wenn afrikanische Musiker auf der Bühne in Trachtenkostüme schlüpfen, um ihre modernen Sweater und Sneaker zu verbergen. Oder wenn sie etwas Djembe-Percussion in ihre HipHop-Beats einstreuen, um keinen reinen Abklatsch westlicher Rap-Vorbilder zu liefern, denen sie im Grunde nacheifern.

Allerdings ist die Welt in den letzten 25 Jahren tatsächlich enger zusammengewachsen, und das hat manche Unterschiede aufgehoben. Es gibt immer mehr popkulturelle Trends, die über Kontinente hinweg funktionieren, und Künstler, die mühelos Grenzen überwinden.

Die Musikszenen haben sich angenähert. Und dabei ist nicht immer klar, was ernst gemeinte Tradition, Ironie, Vermarktung und freies Spiel mit popkulturellen Zeichen ist. Auch der Mainstream ist bunter geworden: Das zeigen globale Chart-Erfolge wie diese hawaiianische Version von „Over the Rainbow“, der brasilianische Country-Schlager eines Michel Telo oder der Gangnam Style aus Korea.

Heute können Künstler, egal wo sie sind, dank Youtube und Spotify per Mausklick ein weltweites Publikum erreichen, und Amazon und andere Dienste liefern einem fast jede gewünschte CD überallhin. Und während Major-Labels Pleite gemacht haben und viele kleine Labels schwächen, ist Weltmusik aber noch immer ein halbwegs solides Geschäftsfeld. Aufgrund seiner Nachhaltigkeit, könnte man sagen: weil hier keine schnelllebigen Trends produziert werden, sondern weil viele Labels und Festivals für künstlerische Qualität bürgen. Dass das so ist, erkennt man zum Beispiel daran, dass die große Musikmesse Popkomm schon vor langer Zeit ihre Pforten schließen musste, während die kleine, unabhängige Weltmusik-Messe Womex noch immer munter weitermacht.

Es gab viele Versuche, Weltmusik zu definieren. Einer der schönsten stammt von Christoph Borkowsky, dem Chef des Berliner Labels Piranha und Mitbegründer der Weltmusik-Messe Womex: Er betrachtet Weltmusik, analog zum Begriff Weltliteratur, als einen Qualitätsbegriff. Nur das, was sich außerhalb der lokalen Märkte und Publikumskreise bewähre, falle darunter.

Dieser Erfolg der Weltmusik spiegelt eine gesellschaftliche Entwicklung wider. Auch Deutschland ist, wie viele Länder in Europa, in den letzten Jahrzehnten deutlich bunter und vielfältiger geworden. Allerdings beginnen Einwanderer erst langsam an Einfluss zu gewinnen. So hat vieles von dem, was hierzulande unter „Multikulti“ und „Weltmusik“ verstanden wurde und wird, mehr mit den Wünschen und Sehnsüchten eines herkunftsdeutschen Publikums zu tun, als dass es die Realitäten der Einwanderungsgesellschaft in Deutschland spiegelt. So gibt es in ganz Deutschland zum Beispiel immer noch kein einziges Festival für türkische Musik.

File Under: Global Bass

Aber die Grenzen lösen sich auf. Was früher in Weltmusik-Nischen eine kleine Öffentlichkeit fand, findet heute in der Philharmonie, an der deutschen Oper und sogar in Techno-Clubs statt. Die großen Konzerthäuser entdecken die Einwanderer als potenzielles Publikum. Die deutsche Elektronik-Szene entdeckt die Kollegen in Afrika und Lateinamerika für sich. Interessanterweise begeistern sich manche dort gerade für das antiquierte Equipment und die altmodischen Keyboard-Sounds, die von Weltmusik-Connaisseuren lange Zeit verschmäht wurde. File Under: Ghetto Tech, Global Bass oder Worldtronics.

Wo sich diese Entwicklungen bislang noch am wenigsten widerspiegeln, sind die deutschen Medien. Selbst Stars wie die Dissidenten, Shantel, die 17 Hippies, La Brass Banda bekommen hier nicht die Anerkennung, die sie anderswo erfahren. Dafür schlägt sich die wachsende Vielfalt inzwischen in der Kulturförderung nieder. Wegweisend ist etwa die Initiative des Landesmusikrats Berlin, der nach Kontrabass, Posaune und Fagott in diesem Jahr die Baglama, die türkische Langhalslaute, auch Saz genannt, zu ihrem „Instrument des Jahres“ erkoren hat. In einigen Bundesländern ist das Instrument bereits ein fester Bestandteil des Wettbewerbs „Jugend musiziert“.

Wegweisend ist aber auch das musikpädagogische Programm „Jedem Kind ein Instrument“, das vor fünf Jahren an Grundschulen im Ruhrgebiet eingeführt wurde und im restlichen Bundesgebiet Nachahmer findet. Neben Gitarre, Akkordeon, Keyboard, Klavier und Schlagzeug können Kinder dort auch Djembé, Cajón oder Baglama lernen. Damit werden diese Instrumente schon an der Basis vom Ruch des Exotischen befreit. Für die nächste Generation deutscher Musiker wird es dann vielleicht eine Selbstverständlichkeit sein, die türkische Saz mit Rock oder elektronischen Klängen zusammenzubringen, wie das in der Türkei schon lange üblich ist. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis die erste deutsche Band aus dieser Kombination etwas ganz Neues schafft – vielleicht mit deutschen Texten.

■ Gekürzte und überarbeitete Version eines Vortrags, gehalten beim Weltmusik-Symposium im März in Ludwigshafen