Gaddafis Vermächtnis

WÜSTENROCK Die Geschichte von Bands wie Tinariwen spiegelt die jüngste Geschichte der Tuareg. Davon erzählt jetzt ein neues Buch

VON DANIEL BAX

Als die Tuareg-Band Tinariwen mit ihren indigoblauen Gewändern, imposanten Turbanen und Gesichtsschleiern um die Jahrtausendwende herum erstmals auf westlichen Rockbühnen aufkreuzte, eilte ihr ein sagenhafter Ruf voraus: Echte Rebellen und Freiheitskämpfer seien das, die ihre Kalaschnikows aber gegen Gitarren getauscht hätten, um die Welt mit ihrem energischen Bluesrock zu bezirzen. Diese Musik klang irgendwie vertraut und doch seltsam fremd, wie eine sonische Fata Morgana.

Der britische Journalist Andy Morgan verhalf Tinariwen als ihr Manager zu Weltruhm. Heute breitet er seine Kenntnisse über die Tuareg und den Konflikt in Mali in einem Blog aus (andymorganwrites.com). Sein gesammeltes Wissen ist auch in das Buch „Music, Culture & Conflict in Mali“ eingeflossen, das jetzt erschienen ist (220 Seiten, erhältlich über freemuse.org).

Es ist eine packende Lektüre, denn die Geschichte von Bands wie Tinariwen spiegelt die jüngste Geschichte der Tuareg wieder. Die Anfänge von Tinariwen liegen in den militärischen Ausbildungslagern, die der libysche Diktator Gaddafi Anfang der achtziger Jahre im Süden seines Landes einrichten ließ. Viele junge Tuareg waren damals vor Dürre, Arbeitslosigkeit und Unterdrückung in ihren Ländern gen Norden geflohen. Gaddafi wollte aus ihnen eine schlagkräftige Söldnertruppe schmieden, um damit seine Vormacht in der Region zu untermauern.

Anfangs waren Tinariwen nicht viel mehr als das der musikalische Arm jener Rebellen, die 1990 hinter dem Tuareg-Aufstand in Mali standen. Doch ihre Songs machten auf Kassetten in der ganzen Sahara die Runde und verbreiteten ihren Ruf überall da, wo Tuareg lebten, von Mali über Algerien und Libyen bis Niger und Burkina Faso. Tinariwen haben so eine ganze Generation von Tuareg-Musikern geprägt: in Mali das von Frauen geführte Ensemble Tartit und die junge Tuareg-Band Tamikrest (siehe Artikel links), in Niger das Duo Toumast sowie die Band Bombino.

Fünf Alben haben Tinariwen in den vergangenen zehn Jahren veröffentlicht, heute zählen auch Rockstars wie Robert Plant, Carlos Santana und Radiohead-Chef Thom Yorke zu ihren Fans. An ihrem letzten Album „Tassili“ waren die Alternative-Country-Band Wilco und die Progrock-Band TV on The Radio beteiligt. Für die Aufnahmen mussten Tinariwen allerdings in die Oasenstadt Djalit nach Algerien ausweichen. Bei ihnen zu Hause, im Norden Malis, war die Lage dafür schon zu brenzlig geworden.

Der Tuareg-Aufstand von 1990 endete 1996 mit einem Abkommen in Timbuktu, feierlich wurden dort 300 Kleinwaffen verbrannt. Doch mit dem Ende des Gaddafi-Regimes in Libyen ist der Konflikt nach Mali zurückgekehrt. Hunderte von Tuareg, die in Gaddafis Armee gedient hatten, kamen nach dessen Fall zurück nach Mali, schwer bewaffnet und gut ausgebildet, aber ohne jede Perspektive.

Als Tuareg-Rebellen im vergangenen April im Norden Malis einen eigenen Staat ausriefen, waren Tinariwen gerade auf Tour in Europa. Es ist eine bittere Ironie der Geschichte, dass der Tuareg-Anführer Iyad Ag Ghali, der Tinariwen einst ihre ersten Instrumente sponserte, als Chef der radikalislamischen Gruppe Ansar Dine dort nunmehr ein striktes Musikverbot verfügte. Auch die Rückeroberung des Gebiets stellt Tuareg-Bands wie Tinariwen nun vor ein Dilemma. Einerseits haben sie in ihren Liedern immer wieder die Tuareg-Kultur besungen und damit den Wunsch auch nach politischer Eigenständigkeit wachgehalten. Andererseits drohen die Tuareg jetzt wieder, zum Opfer größerer Mächte zu werden.

Zur Feier der Tuareg-Kultur wurde zur Jahrtausendwende in Mali das „Festival au Désert“ ins Leben gerufen. Zwölf Jahre lang traten dort Musikstars aus dem Süden Malis neben Tuareg-Bands und westlichen Rockstars wie Damon Albarn, Manu Chao oder Bono auf. Schon 2007 mischten sich aber Al-Qaida-Männer unter die Zuschauer, und als es wenig später in der Nähe zu brutalen Überfällen auf Ausländer kam, verlegte man das Festival vom Wüstenort Essakane nach Timbuktu.

In diesem Jahr planten die Macher, es als „Festival in Exile“ nach Burkina Faso verlegen. Doch am Ende mussten sie das Handtuch werfen. Von der besonderen Atmosphäre, die das Festival auszeichnete, kündet derzeit nur noch der Dokumentarfilm „Woodstock in Timbuktu“ der deutschen Regisseurin Desirée von Trotha, der dieser Tage in einigen ausgewählten deutschen Kinos gezeigt wird.