Das kommt nicht in die Kiste!

SERVICE Die Zahl der Hauslieferdienste steigt, die Wünsche der Verbraucher wachsen. Kunden und Anbieter sind sich über Ideale, Genuss und Ökonomie nicht immer einig

Kunden wollen die Auswahl, können aber auch die Regional- Kiste beziehen

VON CONSTANZE NAUHAUS

Ob es in Ordnung sei, wenn er einfach nur Herbie heiße, oder ob das als schlecht recherchiert gelte? Was soll man da sagen. Er heißt nun einmal Herbie, der Mann, der mir jeden Monat meine „Gemüsekiste“ bringt. Eigentlich ist „Gemüsekiste“ das falsche Wort. Es hat sich eingeschleift für all die Biokisten, die Tag für Tag vor Berliner Wohnungstüren stehen oder nach Feierabend in der Stammkneipe abgeholt werden. Längst enthalten sie neben Gemüse eigentlich alles an Naturwaren, was des Städters Herz begehrt. Nach Angaben der Fördergemeinschaft ökologischer Landbau Berlin-Brandenburg können sich Berliner mittlerweile zwischen 12 Vertrieben entscheiden, die ihnen ins Haus liefern, wofür sie sonst in den Biomarkt gehen müssten.

Herbies Vertrieb sucht man in dieser Auflistung vergeblich. Zu klein ist sein „Projekt“, wie er es nennt, zu groß seine Abneigung gegen den grünen Kapitalismus und „elitäre“ Fair-Trade-Siegel. „Ich kaufe Bio auf Vertrauen bei solidarökonomischen Projekten, Kollektiven, Kommunen und Kleinstproduzentinnen. Die könnten sich so ein Siegel gar nicht leisten.“ Der gelernte Gartenbautechniker und Langzeit-Kreuzberger ist einer der Hauptverantwortlichen des Projekts Schnittstelle, das irgendwie alles ist. Alternatives Netzwerk, politisches Sprachrohr und Informationsplattform zugleich. Und eben Öko-Abo-Service. Die „Bio-Diversitäts-Kiste“, die Herbie selbst an einen kleinen Kundenstamm ausliefert, trägt ihr Konzept schon im Namen. Den Anbau unbekannter Sorten fördern und so der Hegemonie von Biokartoffeln und Biomöhren in Discountern etwas entgegensetzen, das hat sich die Schnittstelle auf ihre Fahne geschrieben.

Jeden Monat überraschen den Belieferten etwa gelb-violette Knollen, Schafmilchlikör, neonfarbene Säfte oder Getreidesorten mit nie gehörten Namen. Ein Beipackzettel klärt über Produktgeschichte und -zubereitung auf und informiert etwa über asaisonale Schafhaltung oder die nächste Demo gegen große Agrarbetriebe. Auch ein Leinenbeutel verirrt sich mal in die Kiste, als Kritik an der Baumwollindustrie. Man merkt, hier wird nicht nur mit Nahrung versorgt, hier wird ein pädagogischer Ansatz verfolgt. Herbies Lieblingswort lautet „Solidarökonomie“. „Die Fair-Trade-Bewegung der 80er forderte verbesserte Lebensbedingungen, und was ist davon übrig? Almosen für den Süden und Biolebensmittel für das Gewissen.“ Auch grüner Kapitalismus sei immer noch Kapitalismus. Herbie versucht einen Spagat zwischen Regionalität, Diversität und politischen Statements. Saft bezieht er aus der Brandenburger Mosterei, Kaffee aus einem zapatistischen Kollektiv in Mexiko. Fairer Handel bedeutet auch direkte Handelsbeziehungen, ohne Zwischenhändler, die Geld abschöpfen.

Wirtschaftlich handeln kann man so nicht. In einer Zeit, in der sich unsere Beziehung zu natürlichen Wachstumszyklen in dem ganzjährigen Wunsch nach Erdbeeren ausdrückt, macht das Verlangen nach ständiger Verfügbarkeit auch vor den Abo-Kisten nicht halt. Das weiß Christoph Scholz, Inhaber des Vertriebs Märkische Kiste, nur zu gut. Mit über 50 Prozent Regionalprodukten kann sein Unternehmen, das über 20 Mitarbeiter beschäftigt, zwar eine vergleichsweise gute Quote vorweisen, aber: „Der Kunde will die Auswahl. Die Zeiten, in denen wir nur den naturverbundenen Fundi belieferten, sind vorbei. Jetzt kauft der Arzt bei uns, der im Winter auch mal eine Weintraube braucht.“ Zwar verkauft man bei der Märkischen Kiste im Winter keine spanischen Tomaten, doch wird die heimische Tomatensaison durch Zukauf aus dem Ausland auch mal um vier Wochen gestreckt. Und Bananen und Ananas, die man über einen Biogroßhändler bezieht, „müsse“ man im Angebot haben, wolle man betriebswirtschaftlich arbeiten. Doch der Kunde, so betont Scholz, habe schließlich die Wahl. Er kann sich für eine Regionalkiste entscheiden. Wie hoch deren Anteil an den Bestellungen sei? Er könne nur schätzen, 10 Prozent vielleicht.

Genauso gut könnte man einen Fünfjährigen vor die Entscheidung „Eis oder Apfel“ stellen. Vielleicht ist auch in Zeiten unbedingter Freiheit ein wenig Erziehung nicht fehl am Platz. Letzte Woche bekam Herbie einen Anruf. Einem Paar aus Köln habe der Apfel-Wurzel-Saft, mit dem Herbie auch die Prinzessinnengärten am Berliner Moritzplatz beliefert, so gut geschmeckt. Ob er ihnen eine Kiste schicken könnte? Da hat er verneint. Er fände es völlig absurd, Saft quer durch Deutschland zu schicken. Doch natürlich ist auch das Kapitalismus, dass Kunden sich diese Form biodiverser Erziehung kaufen können.