Alkmene trifft Herbstkalvill

MALUS DOMESTICA In Brandenburg werden fast 220.000 Dezitonnen Äpfel jährlich geerntet. Ihre breite Aromenvielfalt lässt sich in der Schöneberger Apfelgalerie entdecken

■ Caty Schernus hat mit Alexander Fromm ein Buch über alte Apfelsorten aus Berlin und Brandenburg geschrieben. Das „Apfelbuch Berlin-Brandenburg“ ist kein pomologischer Sortenkatalog, sondern ein lehrreiches und leichtfüßiges Buch mit allem, was sich lokalpatriotische Apfelliebhaber zu lesen wünschen. Es gibt farbig illustrierte Sortenporträts, man erfährt, wie alte Apfelsorten bestimmt und gerettet werden, lernt etwas über die historischen Hintergründe des Obstbaus in Brandenburg und macht Bekanntschaft mit einem Apfel-Künstler. Im Rezeptteil finden sich 30 ungewöhnliche und dennoch alltagstaugliche Apfelrezepte. (sib)

■  Caty Schernus, Alexander Fromm: „Das Apfelbuch Berlin-Brandenburg. Alte Sorten wiederentdeckt“. 120 Seiten, 77 farbige Illustrationen, Be.Bra Verlag, Berlin 2013, 16,95 €

VON SIBYLLE MÜHLKE

Feine Nasen können schon an der Ecke zur Grunewaldstraße Witterung aufnehmen: Ein Streif Apfelaroma durchzieht die Stadtluft. Biegt man in die Goltzstraße ein, intensiviert sich der Geruch – und gut fünfzig Meter weiter steht man vor der Quelle des köstlichen Dufts: einem schmalen, unprätentiösen Laden mit dem blau-gelben Schild „Apfelgalerie“

In Stiegen und Körben liegen Äpfel in allen denkbaren Formen und Farben. Das hier, man merkt es sofort, sind besondere Äpfel – regionale, rare alte Apfelsorten nämlich. Die Namen sind reine Lyrik: Alkmene, Danziger Kantapfel, Hasenkopf, Gubener Kaschacker, Ribston Pepping, Herbstkalvill, Schafsnase und Zitronenapfel. Man sieht leuchtendes Gelb, tiefdunkles Rot und zartes Grün, manche Äpfel sind mit roten Streifchen überzogen, andere haben die klassischen hellroten Apfelbäckchen. Die Früchte sind kugelig, gedrungen oder langgestreckt, haben runde, ovale oder sogar gerippte Querschnitte. Ergänzt wird das Sortiment der Apfelgalerie durch Birnen, Pflaumen, Erdbeeren, Kirschen und etwas Gemüse – alles konsequent regional und damit auch saisonal. Daneben gibt es eine Auswahl an bereits verarbeiteten Obst- und Gemüseprodukten, und auch das „Apfelbuch“ (siehe Kasten) liegt im Regal bereit.

Hinterm Tresen steht mit hoher Wahrscheinlichkeit die Apfel-Galeristin selbst, Caty Schernus. Munter, freundlich und effizient bedient sie ihre Kunden. Übers Jahr gehen bei ihr etwa 200 verschiedene Apfelsorten über die Theke, doch die sind natürlich nie alle gleichzeitig zu haben – schließlich wächst nicht jeder Apfel jederzeit, und der Laden ist nicht groß. So zwischen zwanzig und dreißig verschiedene Sorten habe sie jedoch meist im Angebot, sagt Schernus.

Sie verkauft nicht nur Äpfel, sondern betreibt hier auch Aufklärungsarbeit, das bekommt man schon mit, wenn man sich an einem durchschnittlichen Wochennachmittag ein paar Minuten im Laden aufhält. Sie stellt ihre Sorten bereitwillig vor – „Den sollten Sie gleich essen, der hält sich nicht lange“ – und auch ein Kunde, der wissen möchte, welchen Apfelbaum er in seinem Garten neu pflanzen soll, bekommt einen Rat. Sich selbst sieht die Apfelgaleristin dennoch nicht als apfelsachverständige Pomologin, sondern eher als Obst-Kuratorin. Ursprünglich ist Schernus eher aus pragmatischen Gründen auf den Apfel gekommen: Nach dem Studium der Kulturwissenschaften und einem Job in der PR wollte sie sich selbstständig machen. Anstatt PR-Beraterin zu werden, entschied sie sich fürs Obstgeschäft. „Das war die handfestere Variante, das hat mir gefallen“, sagt sie, „und Äpfel sind eine tolle Ware!“ Im September 2007, vor fast genau sieben Jahren, wurde die Apfelgalerie eröffnet.

Obst und Gemüse kommen von Erzeugern und aus Gärten der Region, ihre Äpfel bezieht Caty Schernus fast durchweg vom elterlichen Hof, dem Obsthof Schernus & Bröcker in Frankfurt (Oder). Gewirtschaftet wird dort nach den Richtlinien der naturnahen „integrierten Produktion“ – ein Mittelweg zwischen strenger Bionorm und konventionellem Anbau. Bei der integrierten Produktion kommen Methoden zum Einsatz, die möglichst geringe Auswirkungen auf Natur und Umwelt haben. Viele Biomethoden werden auch im integrierten Anbau genutzt, es gelten jedoch nicht alle Beschränkungen der Biolandwirtschaft.

Gegründet wurde der Obsthof Schernus & Bröcker nach der Wende, die Geschichte der dort angebauten Apfelsorten reicht jedoch weiter zurück. Schon zur DDR-Zeit gab es in der Nähe von Frankfurt (Oder) einen Sortengarten, ursprünglich angelegt zur Lehrlingsausbildung. Dort wurden viele verschiedene – auch seltene, alte – Apfelsorten kultiviert. Nach dem Mauerfall gelang es dem Obstbauspezialisten Bröcker, durch Umpflanzen und Neuveredelung einen Teil dieser Sortenvielfalt zu retten. Inzwischen werden auf dem Obsthof Schernus & Bröcker rund 150 alte Apfelsorten gepflegt und erhalten, einige werden auch in größerem Stil angebaut. Und fast alle dieser Apfelraritäten gibt es auch in der Schöneberger Apfelgalerie. Dazwischen finden sich aber auch vertraute Namen wie Shampion, Elstar und Gala Royal – in erstklassiger Qualität.

Exorbitant teuer sind diese Köstlichkeiten nicht, denn die Produkte kommen ohne Zwischenhändler direkt vom Obsthof in den Laden. Für ein paar Euro bekommt man einen großen Beutel voll köstlich duftender Apfelvielfalt. Aber Vorsicht: Das Zeug macht süchtig, und bald ist man für schnödes Discounterobst vollkommen verdorben.

■ Apfelgalerie Schöneberg: Goltzstraße 3, 10781 Berlin. Tel. (030) 44 70 56 30, info@apfelgalerie.de, www.apfelgalerie.de. Geöffnet: Mo.–Fr. 11–19 Uhr, Sa. 11–15 Uhr