Ein langer und zäher Kampf

RÜCKÜBERTRAGUNG Nach 1915 konfiszierte die Türkei das Eigentum der vertriebenen und getöteten Armenier. Heute versuchen Stiftungen, die gestohlenen Werte zurückzubekommen. Teilweise mit Erfolg

VON SELCUK OKTAY (ISTANBUL)

„Würde die Frage, an wen das Eigentum der Armenier verteilt wurde, gestellt, würde dies in der Türkei zu großer Bestürzung führen. Denn die bisher dem Land aufoktroyierte Sicht der Geschichte könnte ins Wanken geraten. Dies würde zu einem erheblichen Wandel der gesellschaftlichen Wahrnehmung führen.“

Diese Worte stammen von dem oppositionellen armenischen Journalisten in der Türkei, Hrant Dink, der 2007 ermordet wurde. Dink hat sich für die gesellschaftliche Anerkennung des in der Türkei tabuisierten Völkermords an den Armeniern eingesetzt. Er ging davon aus, dass eine der wichtigsten Fragen dabei das nach 1915 konfiszierte armenische Eigentum ist. Dieses Eigentum wurde nicht gemäß den damals geltenden Gesetzen konfisziert. Auch wurde nicht gesetzlich geregelt, dass es nicht an die Eigentümer zurückzugeben sei.

Dass Armenier die Rückerlangung ihres Eigentums vorantrieben, wurde durch gesetzliche Regelungen der nach dem Untergang des Osmanischen Reichs gegründeten jungen türkischen Republik verhindert. So wurde etwa die Wiedereinreise der während des Völkermords ausgebürgerten Armenier durch das Staatsangehörigkeitsgesetz verhindert. In den folgenden Jahren der Republik wurde der Prozess der Übertragung des konfiszierten Eigentums an verschiedene gesellschaftliche Gruppen abgeschlossen, wodurch der türkischen Wirtschaft in erheblichem Umfang Kapital erhalten blieb.

Es gibt verschiedene Angaben zum Umfang des konfiszierten armenischen Eigentums. Eine davon gründet auf den bei der Pariser Friedenskonferenz im Jahr 1919 durch armenische Vertreter vorgelegten Zahlen. Der Forscher Sait Çetinoglu bezifferte den Wert des konfiszierten Eigentums mit damals 19,4 Milliarden französischen Franc. Dies entspräche heute circa 90 Milliarden Euro, so der Professor für Politikwissenschaft, Baskin Oran. Vor diesem Hintergrund erscheint eine Anerkennung des Völkermords kaum vorstellbar. Besonders kompliziert ist die Lage bei den Werten, die sich Privatpersonen angeeignet haben. Dies erschwere den Prozess der Rückgabe, so Çetinoglu.

Dennoch konnten armenische Stiftungen einige Erfolge erzielen. Die Türkei führte bereits gesetzliche Regelungen über die Rückgabe des Eigentums an Stiftungen der Minderheiten ein, und einige Rückgabeverfahren wurden erfolgreich abgeschlossen. Das Amt des Premierministeriums der Republik Türkei für öffentliche Diplomatie informierte darüber, dass bis Februar 2015 1.014 Grundstücke an diverse Stiftungen zurückgegeben worden seien. Zudem sei entschieden worden, dass der Verkehrswert von 21 weiteren Grundstücken erstattet werde. Zwar stellt die Rückgabe dieser Grundstücke einen wichtigen Schritt dar. Allerdings gibt es Probleme, die weitere Rückübertragungen bisher verhindern. So sind die gesetzlichen Regelungen unzureichend. Toros Alcan, Vertreter der Stiftungen der Minderheiten, weist auf Probleme bei der Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen hin. Rechtsanwalt Atilla Lök und Rechtsanwältin Hülya Benlisoy berichten von einer Verfahrensdauer von drei bis vier Jahren, wenn vorher bereits eine Zwangsverwaltung angeordnet worden war. Auch nähmen die Verfahren wegen Grundstücken, die nicht zurückgegeben werden können, sondern für die eine Entschädigung gezahlt werden muss, viel Zeit in Anspruch.

Vielfach wird davon ausgegangen, dass der türkische Staat an einer Rückgabe eigentlich nicht interessiert ist. Jedoch bemühen sich gesellschaftliche Initiativen um eine Rückgabe. Die wichtigste Rolle spielt dabei die Hrant Dink Stiftung.