Am Ende bekommt dann alles der Staat

ERBRECHT Wer ohne Erben stirbt, vermacht seinen Nachlass dem Staat. Lange wurde die Bedeutung solcher Fiskalerbschaften stark unterschätzt

Deutschland ist ein ordentliches Land. Nichts soll hier herrenlos herumliegen, das bestimmen seine Gesetze. Fällt einer tot im Wald um, gehören seine Schuhe schon dem Nächsten. Findet sich kein Erbe, dann erbt der Staat.

Jahrzehntelang war das keine große Sache. Seit dem Fiskus aber immer größere Summen zufallen, werden die sogenannten Fiskalerbschaften zum Dauerthema. Tatsächlich gingen im Jahr 2013 allein dem Land Niedersachsen 1.633 Erbschaften im Wert von rund 13 Millionen Euro zu – fast doppelt so viel wie 2009. Nach Abzug aller Ausgaben blieben dem niedersächsischen Staatshaushalt 5,8 Millionen Euro.

Für 2014 rechnet die Oberfinanzdirektion Hannover mit einem neuen Rekord. Denn Paragraf 1936 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) macht dasjenige Bundesland zum Erben, in dem der Verstorbene ohne Verwandten, Ehegatten oder Lebenspartner zuletzt wohnte.

Dabei ist der erbenlose Nachlass eigentlich eine Fiktion. Denn in jedem Erbfall ließen sich lebende Erben finden. „In 20 Jahren kann ich die Fälle, in denen ich keine Erben gefunden habe, an zwei Händen abzählen“, sagt Bernd Clasen. Er wird von Amtsgerichten in Hamburg, Niedersachsen und Schleswig-Holstein als Nachlasspfleger bestellt, wenn diese auf keine Hinterbliebenen stoßen. Da er nebenbei als privater Erbenermittler arbeitet, sieht er den Trend zur Fiskalerbschaft kritisch: „Wenn ein wertvoller Nachlass dem Staat zufällt, habe ich manchmal Zweifel, ob das wirklich nötig war.“

Für Erbenermittler wie ihn werden erst größere Summen interessant – denn die Suche kann oft Jahre dauern. Da muss sich der Einsatz lohnen: Bis zu 40 Prozent des Erbes nimmt die Branche als Provision. Und weil die Verwandtenerbfolge im BGB unbegrenzt ist, kommen einige so völlig unverhofft zu ihrem Erbe.

Die Amtsgerichte können sich ihre Fälle dagegen nicht aussuchen – und sie müssen für rechtliche Klarheit sorgen. Wer etwa mit Schulden stirbt, hat Gläubiger – und die wollen wissen, an wen sie ihre Forderungen fortan richten sollen. Weil aber immer mehr Nachlässe überschuldet sind, schlagen Angehörige immer öfter ihre Erbschaft aus. Die Gläubiger gehen dann leer aus. Der Steuerzahler als Letzter in der Erbfolge soll keine Schulden erben – Tiere aber schon: Vor einigen Jahren erbte das Land Niedersachsen drei Pferde. Und für alles Leblose hat das Bundesfinanzministerium unter zoll-auktion.de dagegen eine Art Staats-E-Bay geschaffen.

Das Gesetz gibt den Richtern nicht exakt vor, wie lange sie nach Hinterbliebenen zu suchen haben. Doch bevor eine Fiskalerbschaft festgestellt werden kann, muss ein Erbenaufruf im Bundesanzeiger veröffentlicht werden.

Der Hamburger Senat wiederum hat jüngst erklärt, 2014 durch Fiskalerbschaften Verluste gemacht zu haben. Zwar hatte die Hansestadt knapp 400.000 Euro geerbt, rund drei Viertel davon musste sie laut Testament aber zur Instandhaltung katholischer Kirchen ausgeben. Weil sich dann auch noch einige echte Erben meldeten und Geld zurückerstattet bekamen, machte Hamburg am Ende fast 50.000 Euro Miese.  JOHANN LAUX