Linke-Politiker Brie: "Nicht bloß Mehrheitsbeschaffer"

André Brie, Europaabgeordneter der Linken, sieht in der SPD einen politischen Gegner - und einen politischen Partner.

Lafonaine sei für die Linke unverzichtbar, so Brie - gerade im Westen. Bild: Europaparlament

taz: Herr Brie, SPD und Grüne blinken derzeit nach links. Ist das gefährlich für die Linkspartei?

Andre Brie: Nein, das ist nicht gefährlich für die Linkspartei. Viele Ex-SPD-Wähler haben in den letzten zehn Jahren resigniert und gar nicht mehr gewählt. Diese Nichtwähler haben dann Linkspartei gewählt. Die Linke hat also der SPD insofern nicht Wähler abspenstig gemacht, sondern verhindert, dass die sich ganz zurückziehen.

Sehen Sie nicht die Gefahr, dass die Beck-SPD Ihnen Wähler abjagt?

Nein, nicht wenn wir unsere Hausaufgaben machen. Die Linkspartei kann nicht bloß Mehrheitsbeschaffer für eine linke Regierung sein. Es geht nicht nur um Wahlarithmetik, wir brauchen ein politisches Projekt.

Und das fehlt?

Ja, noch.

Wäre die Linkspartei im Bund denn überhaupt regierungsfähig?

Ich glaube schon. Aber ehe es zu Rot-Rot-Grün kommen kann, muss das geistige Klima in der Republik verändert werden. Es gibt zwar sehr viel Unzufriedenheit - aber zu wenig Akzeptanz für alternative Politik. Und auch zu wenig Zuversicht, zu wenig Anpacken-wollen. Da haben wir Defizite. Es fehlen konkrete, realisierbare Projekte.

Lafontaine hat vier Punkte als Hürde für eine Regierungsbeteiligung genannt: Hartz IV, Afghanistan, Rente mit 67, Mindestlohn.

Das ist einerseits noch zu unkonkret, andererseits zu wenig. Erst muss man sagen, wie wir Mindestlöhne umsetzen. Es gibt im Osten Tariflöhne von 3,30 Euro, und wir sind gegen Kombilöhne. Da fehlt also die genaue Ausgestaltung. Vor allem aber reichen diese vier Punkte nicht. Es fehlt die freiheitliche Entwicklung der Gesellschaft, die Ökologie. Und die Grundsicherung, die ein menschenwürdiges Dasein ermöglicht. Eine solche Grundsicherung wird nicht von heute auf morgen kommen, zumal die SPD dagegen ist. Aber genau das ist die Rolle der Linkspartei: Ziele vorgeben, denen sie in kleinen Schritten näherkommt. Wenn die Linkspartei nur Lafontaines vier Punkte verfolgt, wird sie überflüssig.

Offenbar geht ein Riss durch die Linkspartei. Gysi sagt, Teile des SPD-Programms könnten auch von der Linkspartei sein, bei Lafontaine klingt das ganz anders: alles nur Augenwischerei der SPD. Wer hat Recht?

Beide. Das Programm ist in der Tat links, aber ob die Ankündigungen der SPD beim ALG I auch Regierungspolitik werden, ist doch ziemlich unklar.

Aber die Linkspartei muss sich entscheiden: Will sie sich, wie Lafontaine, scharf von der Beck-SPD abgrenzen oder bietet sie ihr, wie Wulf Gallert aus Sachsen-Anhalt meint, eine "produktive Zusammenarbeit" an?

Die Linkspartei braucht eine Doppelstrategie. Sie muss weiter Druck auf die SPD machen, sogar noch mehr, damit die SPD sich bewegt. Gleichzeitig hat die Linkspartei nur einen strategischen Partner: die SPD. Deshalb muss sie alles tun, um mit ihr ein vernünftiges Verhältnis zu entwickeln. Nur Opposition funktioniert nicht. Es sind doch Millionen von Ausgrenzung bedroht. Denen nutzen schöne Ziele einer Oppositionspartei herzlich wenig.

Glauben Sie, dass es eine Annäherung zwischen SPD und Linken geben kann, so lange Lafontaine noch eine so dominante Rolle spielt?

Die wird es geben müssen. Lafontaine ist für für uns unverzichtbar, gerade im Westen.

INTERVIEW: STEFAN REINECKE

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