Friedenspreis für Anselm Kiefer: Trümmer sind Zukunft

Anselm Kiefers Popularität beruht auch darauf, dass er ein Stereotyp des Deutschen verkörpert: einen der Vergangenheit zugewandten Melancholiker.

Anselm Kiefer im spanischen Guggenheim neben einem seiner Bilder. Bild: dpa

Anselm Kiefer ist ein Mann der Bücher: Seine grauen Folianten tauchen in vielen seiner Installationen auf. Einmal bildeten sie sogar eine ganze Bibliothek, einen von drei hohen Regalreihen umschlossenen Raum. Das war 1991, "Volkszählung" hieß das Werk, das heute dem Museum Hamburger Bahnhof in Berlin gehört. Mit dieser Bibliothek stellte er eine Kontrolle heischende Staatsmacht als finsteres Verlies dar. Das passt gut in sein Werk, das gesättigt ist von den Katastrophen der Geschichte. Denn vor allem muten die vielen Seiten aus Blei, in die statt Buchstaben nur harte, kleine Erbsen eingeschlossen sind, an wie etwas, was die endgültige Vernichtung der Menschheit überstanden hat. Nur das Harte übersteht.

Bücher spielen für Kiefer auch eine große Rolle in den literarischen Verweisen, die seine monumentalen Installationslandschaften oft im Titel tragen. Die Mystik, die Kabbala, Philosophen und Dichter: Sie bilden den deutlich markierten Raum, aus dem seine Werke kommen.

Seine Motive gelten oft Tatorten der vor Großmannssucht dröhnenden Architektur der Nazizeit. Den "gewichtigsten Traumata-Träumer der deutschen Kunst", nannte der Spiegel einmal den Künstler, der im Ausland, vor allem in den USA und in Frankreich, das Bild vom deutschen Künstler besetzt hat: Immer zugange mit der Vergangenheit, getaucht in die Farben des Saturns, das Grau-Braun der Melancholie, immer ein Einzelgänger, der die Einsamkeit wählt.

Im März 1945, als noch die letzten Bomben des Krieges fielen, wurde Anselm Kiefer in Donaueschingen geboren, als Sohn eines Zeichenlehrers. Als er anlässlich seines 60. Geburtstages vor drei Jahren noch einmal auf die prägende Nachkriegszeit angesprochen wurde, bestätigte er die Faszination, die die zerstörten Städte auf ihn ausübten: "Trümmer sind an sich Zukunft. Weil alles, was ist, vergeht."

Kiefer studierte zunächst Jura und Romanistik, bevor er sich Anfang der 70er-Jahre der Kunst zuwandte und bald zu Joseph Beuys kam. 1978 notierte er etwas kryptisch und autobiografisch: "Motorrad, Marmor, Jean Genet, Huysmans, Ludwig II. von Bayern, Paestum, Adolf Hitler, Julia, Bilder: Heroische Landschaften; 1970 eigene Bücher über heroische Sinnbilder, Besetzungen, Einschüsse, Staatsexamen, Studienstiftung des deutschen Volkes, Studium bei Joseph Beuys, Düsseldorf." In dieser Zeit, das waren die Jahre der Performance, erprobte er auch das Mittel der Selbstinszenierung, setzte er sich in Fotocollagen und Aquarellen als Hitler oder König Ludwig II. in Szene. Eine lustige und damit für den späteren Kiefer ungewöhnliche Serie, zurzeit wieder ausgestellt in der Sammlung Heiner Bastian in Berlin.

Sein großer Ruhm als Ausgräber der Leichen im Keller der deutschen Gesellschaft aber kam mit den Achtzigerjahren, und sein Erfolg im amerikanischen Kunstgeschäft spielte dabei eine große Rolle. Allein die Monumentalität seiner Formen und die Strategie der ästhetischen Überwältigung erzeugte in der Rezeption, zumal in Deutschland, auch Skepsis. Scheint er doch mit dem, was er einerseits so vehement kritisiert und mit so viel emotionaler Wucht angreift, der Hohlheit der Gesten der Macht, der Leichtfertigkeit der Vernichtung, auch immer ein wenig zu kokettieren.

Dazu passt das Bild seiner Arbeitsorte, die selbst fast mythische Ausmaße angenommen haben. Jahrelang arbeitete er, mit vielen Assistenten, im Odenwald, in einer stillgelegten Ziegelei; 1993 zog er um nach Frankreich, in die Abgeschiedenheit der Cevennen und baute auf dem Gelände einer ehemaligen Seidenraupenzucht wieder eine sehr eigene Welt aus unterirdischen Tunnelsystemen, seinen Werken und überirdischen Installationen auf, in denen Pflanzen, Wind und Wetter ein großes Mitspracherecht erhalten haben. Nicht zuletzt dass die Welt seiner Kunst gegenüber den Kulturen des Populären dicht abgeschottet war, schmälerte die Bedeutung seiner Stimme im Kunstdiskurs.

Allein der Wertschätzung, der sich Kiefer unter potenten Sammlern und auf dem Kunstmarkt erfreut, konnte die Kritik oder, besser gesagt, auch die Gleichgültigkeit gegen seine Historienspektakel wenig anhaben. Die Verleihung des Friedenspreises des deutschen Buchhandels, die er als erster bildender Künstler erhält, wird die Kuratoren so einiger Museumssammlungen auf Trab bringen.

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