Wahlkampf in den Süsdstaaten: Jetzt swingt Georgia

Bisher können die Republikaner mit den Stimmen der Südstaatler rechnen. Obama will das ändern. Seine Anhänger setzen auf Versöhnung in den ehemaligen Sklavenstaaten.

Barak Obama will auch die Südttsaatler für sich gewinnen. Bild: dpa

SAVANNAH taz Auf der Mansfield Plantage hängt das schlechte Gewissen in den Bäumen. Spanish Moss heißt das Gestrüpp, das sich wie aufgebauschtes Lametta von den uralten Eichen windet und sie aussehen lässt wie Trauerweiden. Die tief hängenden Äste mit ihrem Flor bilden Alleen, die geisterhafte Schatten auf die Staubpfade werfen. In der satten Luft meint man noch die vielen nackten Füße über diese Pfade schleichen zu spüren, heim in stickige Bretterverschläge im moskitoverseuchten Unterholz. Die Mansfield Plantage lebte 116 Jahre lang von 150 Sklaven, danach von eben so vielen lebenslänglich verschuldeten Leibeigenen.

Swingstates: Da bei den US-Präsidentschaftswahlen das Winner-takes-all-Prinzip gilt, entscheiden über den Sieger Bundesstaaten, in denen die Mehrheit mal den Republikanern, mal den Demokraten zufällt. Dazu gehörten zuletzt Florida und Ohio und, sehr selten, einer der Südstaaten, die seit 40 Jahren stets republikanisch wählen.

Südstaaten: In den 13 früheren Sklavenhalterstaaten haben Afroamerikaner einen Bevölkerungsanteil von 40 Prozent. Die Mehrheit der Weißen ist sehr konservativ. George W. Bush hat zweimal alle Südstaaten gewonnen, das will Barack Obama nun auch. Der demokratische Präsidentschaftsbewerber hat neben Virginia und North Carolina vor allem Georgia im Visier.

Georgia: In der Heimat von Coca-Cola ist die schwarze Bevölkerung überdurchschnittlich arm, die weiße besonders reich. Die modernisierte Wirtschaft zieht jüngere, gut ausgebildete Nordstaatler an - auf deren liberale Haltung setzt Obama. Allein mit schwarzen Stimmen könnte er keinen Südstaat gewinnen. Derzeit liegt Obama nur noch um 1 Prozent hinter dem republikanischen Präsidentschaftsbewerber McCain.

Das schlechte Gewissen schwimmt in den Kanälen. Der Reis, Marke "Carolina Gold", den sie einst wässerten, war nur dank viehischer Sklavenarbeit profitabel. Im sumpfigen Schilf wiegen sich heute Frösche, Schildkröten, vieles, was beißt oder sticht und schauderhafte Krankheiten überträgt. Jüngst wurden hier 300 Schädel ausgegraben, Sklavenschädel. "Es muss da noch viele mehr geben", sagt Verwalterin Kathryn leise, "sie starben wie die Fliegen." Die Chronik der Plantage vermerkt keine Namen, Sklaven trugen den ihres Besitzers. Kathryn betont, dass es auch eine Schule und eine kleine Kapelle gab. Letztere kann man besichtigen, und das Herrenhaus natürlich, das jetzt ein schnuckeliges Bed & Breakfast ist.

Das schlechte Gewissen erhitzt die Gemüter und dämpft die Gespräche, es ist ständiger Begleiter auf der Fahrt durch den Süden. Es gibt sie ja wirklich, die rabenschwarzen Versammlungen am Samstagnachmittag auf verwitterten Veranden, in den Backyards stapeln sich Schrottautos und rostige Kühlschränke, und das Essen kommt aus fettigen Tüten. In South Carolina und Georgia sind viele wirklich sehr arm und sehr schwarz, und die Häuser der Weißen sind sehr weiß und sehr blumig. Und ihre Bewohner sind sehr, sehr konservativ. Die Mode auf den Straßen und in den meist noch nicht rauchfreien Kneipen ist taillenlos, klein kariert oder zeltartig und in schrillen Farben. Ungefähr jedes zehnte Haus entlang der Landstraßen ist eine Kirche, oft nicht mehr als eine frisch gestrichene Baracke, die das Wort "Salvation" in die Landschaft schreit. Ausgerechnet hier will Barack Obama die politische Landkarte der USA entscheidend verändern.

Seit 40 Jahren haben die Präsidentschaftskandidaten der Demokraten im Süden keinen Stich mehr gemacht. Bei den letzten beiden Wahlen räumte George W. Bush alle 13 Südstaaten ab. So lange schon sind die schwarzen Kernstaaten fest in der Hand weißer Republikaner, dass Obamas neuester Schlachtruf, "Georgia ist das neue Ohio!", geradezu absurd erscheint. Wie sollte das erzkonservative Georgia, das Bush mit zuletzt zweistelligem Vorsprung gewann, plötzlich ein "Swing State" werden, in dem die Mehrheit zumindest schwankt?

An diesem Sommerwochenende veranstalten Obama-Anhänger hier 4.000 Wohnzimmerpartys. In Savannah, der Perle Georgias, hat Florence ihre Adresse auf die von der Kampagne bereitgestellte Internetseite gesetzt und Freunde und Fremde in ihr "Fabulous Faces Studio" eingeladen. Die große, schlanke, ihr Blumenkleid hinreißend schwingende 49-Jährige war 20 Jahre lang Polizistin, nun stockt sie ihre Pension mit einem Kosmetikstudio auf. Die Pappmachéwände schwelgen in Rosa und Pink, die Decke halten papierblumenumrankte Säulen. Ja, Florence ist schwarz, und noch mehr Klischees schwirren im Raum. Zwei Fernseher laufen gleichzeitig mit unterschiedlichen Programmen, die Veranstaltung hat etwas von einer Tupperparty. Aber statt teurer Plastikdöschen und gurkiger Häppchen gibt es besorgte Debatten und runde Aufkleber: "Unite for Change".

Auf die Frage, was sich ändern muss, schimpft der einzige Mann in der Runde nicht auf miese Schulen, Minilöhne, verbaute Chancen, sondern sagt: "Er ist einer von uns." Auch Obamas alleinerziehende Mutter habe von Essensmarken gelebt, auch sein Vater sei einfach abgehauen, er habe gekifft und sich aussätzig gefühlt und es trotzdem nach Harvard geschafft, mit einem Stipendium. "Wir müssen uns selber aufraffen", singt Florence. Noch so ein Klischee, das stimmt: Die Südstaatler singen ihre Reden voller Vokale und "Ooo, Honey!" und "Yeea, Sweetie". Jede Endung, die nicht in die Melodie passt, wird einfach verschluckt.

Die sechs Leute diskutieren, ob Vorbestrafte auch wählen dürfen. Das ist ein Problem in dieser Nachbarschaft, die Kriminalitätsrate ist derb, allerdings landen die meisten "nur" wegen Drogenbesitzes im Knast. "Die Dealer laufen frei rum und unbeaufsichtigte Kinder direkt in ihre Arme", sagt die weiße Alice. "Wir müssen uns endlich einmischen", schnauft eine Frau mit sechs Beinen, mehr ist von dem Stuhl unter ihr nicht zu sehen. Beim letzten Mal hat nur die Hälfte der über eine Million in Georgia registrierten Schwarzen gewählt; knapp 600.000 weitere Schwarze haben sich noch nie als Wähler eingetragen. "Was braucht man eigentlich für eine Registrierung?", fragt eine Frau mit kunstvollen Zöpfen. "Ein Ausweis kostet 15 Dollar, gehts nicht auch ohne?", fragt der Mann. Florence verschwindet im Internet, da hat die Obama-Kampagne auf jede Frage eine Antwort.

"Wir hier unten können jetzt auch mal was tun", sagt Florence, sensationelle Fingernägel durch die Luft wedelnd. Sie schmetterlingt mit einem Stift über dem Keyboard, zur Schonung der Nägel, und druckt die Anleitung zur Wählerregistrierung aus. Am Samstag wollen sie sich vor den Supermarkt stellen und ihre Nachbarn ansprechen.

Leute wie diese sechs sind ein Pfeiler von Obamas Strategie, den Süden zu swingen. Schon bei den Vorwahlen zog er in Georgia 85 Prozent mehr Schwarze an die Urnen der Demokraten als vier Jahre zuvor. Aber das reicht nicht. Um den verdammt heißen Wind zu drehen, braucht er auch einen substanziellen Umschwung unter den Weißen.

Fünf Kilometer Luftlinie und Welten von Florence entfernt macht auch diese Zielgruppe eine "Unite for Change"-Party. In dem weißen Bungalow mit begrünter Veranda und polierten Holzböden knabbern zwölf junge, gediegene Leute mit einem Haufen kleiner Kinder Karottensticks und nippen an dünnen Cocktails. Dass sie alle weiß sind, beteuern sie, sei reiner Zufall. Nicht so, dass sich alle politisch engagieren, "für den besten Kandidaten aller Zeiten", sagt Alison, 34, Lehrerin. "Zum ersten Mal habe ich das Gefühl, es muss nicht alles so bleiben, wie es immer schon war", sagt Blair, 27, Architektin. "Obama kann uns alle zusammenbringen. Und versöhnen, mit uns selbst", sagt Matt, 29, Verkäufer von Rasenmähern, größer als Mittelklassewagen.

Hingerissen schauen sie sich das Obama-Video "Our Moment Is Now" an. Dann sagt Gastgeber Bill: "Dies ist ein Experiment. Obama tut etwas, was noch keiner getan hat. Wir sind Teil dieser Graswurzelbewegung, wir werden die Geschichte dieses Landes verändern". Dann drucken sie aus dem Internet die Argumentationshilfen aus, auch sie wollen sich am Samstag vor den Supermarkt stellen.

Da gibt es einiges zu tun, angefangen in den eigenen Reihen. "Meine Familie ist sehr konservativ, immer haben alle republikanisch gewählt", sagt Alison. "Man muss wissen: Die Republikaner hier hassen die Demokraten, sie sagen, die sind herzlos, sie hassen Babys, sie hassen die Religion, sie hassen Stärke und Waffen und Recht und Gesetz - weil wir für das Leben, aber nicht gegen jede Abtreibung sind, weil wir die Homoehe unterstützen, weil wir für Waffenkontrollen sind, bis zu einem gewissen Punkt." Sie lacht ein bisschen unsicher. "Aber jetzt redet sogar mein Bruder, der beim Militär ist, davon, Obama zu wählen. Er findet einfach, es ist Zeit, den alten Hass zwischen uns zu beenden."

Der Großvater der Gastgeberin hat zeit seines 92-jährigen Lebens demokratisch gewählt, "aber jetzt sagt er, einen Schwarzen wählt er nicht". Die Enkelin hat ihm Obamas Biografie geschenkt und wird im Familienurlaub noch mal mit Opa reden. "Komisch oder nicht, er behauptet, er hat kein schlechtes Gewissen wegen allem, was war. Aber ich habe es, wegen allem, was ist", sagt Jennifer, 31, Grafikerin. "Die Weißen sind kein monolithischer Block mehr", tröstet sie ihr Mann Bill. "Du siehst ja", grinst er, "ihre eigenen Kinder schleifen diese Festung."

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