Mir eigener Energie gegen Großkonzerne: Genossen, zur Sonne

In immer mehr deutschen Gemeinden investieren Genossenschaften in dezentrale, saubere Energie - und machen sich von den großen Stromkonzernen unabhängig.

Bisher besteht die Solar-Bürger-Genossenschaft in Bürstadt aus einem überschaubaren Grüppchen: 36 Atomkraftgegner aus der Nachbargemeinde von Biblis haben sich zusammengeschlossen und jeweils 100 bis 3.000 Euro eingezahlt. Ihr erstes Projekt war eine Photovoltaikanlage auf dem Gerätehaus der Feuerwehr. Doch die Genossenschaft möchte wachsen: Sie sucht Tausende von Mitstreitern aus der gesamten Republik - um auf immer mehr Dächern Sonnenenergie einzusammeln.

Die Gesetze: Seit zwei Jahren gilt in Deutschland ein neues Genossenschaftsgesetz: Seitdem braucht es für die Gründung nur noch drei Menschen. Jedes Mitglied hat eine Stimme - egal wie viele Anteile er oder sie gezeichnet hat. Das wichtigste Entscheidungsorgan einer Genossenschaft ist die Generalversammlung. Bei sehr mitgliederstarken Genossenschaften kann diese Funktion auch von einer Versammlung gewählter Vertreter übernommen werden. Im Alltag führt der Vorstand die Geschäfte. Dieser wird durch einen Aufsichtsrat überwacht. Jede eingetragene Genossenschaft (eG) ist verpflichtet, einem Genossenschaftsverband beizutreten. Der berät die Mitgliedsunternehmen in betriebswirtschaftlichen und steuerlichen Fragen und führt die regelmäßig vorgeschriebenen Prüfungen durch. Im Vergleich zu anderen Unternehmensformen gehen Genossenschaften deutlich seltener pleite. Außerdem haften die Mitglieder nicht mit ihrem Privatvermögen, wenn die Genossenschaft einmal in Schieflage gerät.

Die Modelle: 80 bis 100 Energiegenossenschaften gibt es inzwischen in Deutschland, schätzt der Freiburger Genossenschaftsexperte Burghard Flieger. Die ersten wurden vor über 80 Jahren gegründet. Damals ging es vor allem darum, dass auch Bürger in Dörfern und kleinen Städten Strom haben wollten - und einige wie die Elektrizitätsgenossenschaft Bierenbachtal existieren bis heute. Daneben sind in den vergangenen Jahren nicht nur Solargenossenschaften und Energieeinkaufsgenossenschaften entstanden. Mittlerweile gibt es in Deutschland etwa 20 Bioenergiedörfer, die sich oft als Genossenschaft organisieren - so wie im Schleswig-Holsteinischen Honigsee, in einem Ortsteil des Odenwaldstädtchens Breuberg oder im niedersächsischen Jühnde. Dabei geht es vor allem darum, Heizöl und Erdgas zu ersetzen. Die Bauern vor Ort liefern Mist, Gülle, Getreide- und Holzabfälle und können dafür langfristig planen. Alle Genossen im Dorf heizen ihre Häuser per Fernwärmeleitung. Das erspart der Atmosphäre nicht nur große Mengen CO2. Dank der gestiegenen Erdölpreise entlastet die Mitgliedschaft in der Genossenschaft inzwischen auch die Haushaltskassen.

Damit verfolgen die Gründer drei Ziele: Sie wollen die Energiewende beschleunigen - weg von Atomkraft und Kohle, hin zu erneuerbaren Energien und dezentralen Strukturen. Sie wollen eine Organisation aufbauen, die von den großen Energiekonzernen auf keinen Fall gekapert werden kann. Und: Sie wollen Geld verdienen.

Noch ist der deutsche Strommarkt fest in der Hand der vier großen Stromkonzerne Eon, RWE, EnBW und Vattenfall - und die verteidigen ihre Großkraftwerksstrukturen mit aller Macht und politischer Einflussnahme. Doch die Kleinen beginnen sich zu formieren. In einer ganzen Reihe von Dörfern und Städten sind Initiativen entstanden, die auf das Motto vertrauen: Gemeinsam sind wir stark. Genossenschaften sind dabei eine überaus geeignete und deshalb häufig gewählte Unternehmensform.

Erhard Renz war die treibende Kraft für den Aufbau der Solar-Genossenschaft im hessischen Bürstadt. Renz ist ein Überzeugungstäter. Seine Tochter wurde wenige Tage vor dem GAU in Tschernobyl geboren; seitdem kämpft er gegen Atomkraftwerke - und für Alternativen. Vor Jahren hat Renz Photovoltaikmodule auf das Dach seines Einfamilienhauses gebaut und dann einen Verein gegründet, damit auch die Pfadfinder in seinem Städtchen eine 2-Kilowatt-Anlage bekamen. Schließlich überzeugte er zwei Dutzend Leute, sich an einer GmbH zu beteiligen, die für jeden Gesellschafter ein paar Solarmodule auf ein Schuldach baute. Doch kaum noch jemand kommt zu den Vereinsversammlungen des Pfadfinderprojekts, und die GmbH erfordert einen hohen Verwaltungsaufwand - ohne dass neue Anlagen dazukommen.

Auch Erhard Renz finanzielles Engagement beim Bürgerwindpark Butendiek, der westlich der Nordseeinsel Sylt entstehen soll, war frustrierend. "Da saßen viele Leute, die hatten nur Interesse an der Rendite." Der Tagungsleiter guckte bei den Abstimmungen ausschließlich in die Ecke, wo die Menschen mit großen Stimmrechtspaketen saßen. Und im vergangenen Jahr übernahm dann auch noch ein Großinvestor den Laden.

"So was wie bei der Windenergie darf uns beim Solarstrom auf keinen Fall wieder passieren", sagt der 53-Jährige, der jahrzehntelang ein gutes Gehalt bei Daimler in der Rechnungsabteilung verdient hat. Die Lösung: Eine Genossenschaft, bei der jedes Mitglied eine Stimme hat - egal wie viel Geld er oder sie eingebracht hat.

Noch müssen die Bürstädter Genossen vieles ehrenamtlich erledigen. Doch ab 400.000 Euro Investitionssumme lohnt der Verwaltungsaufwand, hat Renz ausgerechnet. Voraussetzung für die Mitgliedschaft ist die Zahlung von einmalig mindestens 100 Euro und die Erreichbarkeit über E-Mail; so wenig Geld wie möglich soll für Bürokratie draufgehen. Auch sonst soll die Solar-Genossenschaft professionell gemanagt werden. "Wir wollen Top-Leute und keine Rumbastler", sagt Renz. Auf die Dächer gebaut werden die Module von zwei Installateuren - auch sie Genossenschaftsmitglieder. Sie liefern zu Freundschaftspreisen und kontrollieren sich gegenseitig. Für jede Anlage, die noch dieses Jahr ans Netz geht, kann die Genossenschaft mit 46,75 Cent pro eingespeister Kilowattstunde rechnen - so wie andere Photovoltaikbauherren in Deutschland auch. Das Erneuerbare-Energien-Gesetz garantiert jedem Anlagenbetreiber 20 Jahre lang feste Abnahmepreise.

Damit ist schon heute klar: Wenn nichts kaputt geht, wird sich die Investition auf dem Dach der Bürstädter Feuerwehr in elf Jahren amortisiert haben. Dann können die Genossen entscheiden, ob sie die Einnahmen sparen, um davon neue Solarmodule zu kaufen, oder ob sie sich eine Rendite auszahlen. "Das Gute an einer Genossenschaft ist ja auch: Es gibt keinen Zeitdruck", sagt Renz. "Immer wenn wir genug Geld zusammen haben, bauen wir etwas Neues."

Auch bei Greenpeace Energy entstand die Idee, eine Genossenschaft zu gründen, erst aufgrund negativer Erfahrungen mit anderen Geschäftsmodellen. Nach der Liberalisierung des Stromvertriebs vor zehn Jahren hatte die Umweltorganisation mit einer Kampagne 60.000 Haushalte gefunden, die ihren Willen bekundeten, sauberen Strom zu beziehen. Greenpeace veranstaltete eine Ausschreibung, 21 Anbieter meldeten sich. "Doch keines der Angebote war befriedigend - vor allem was den Umgang mit den Kunden anging", berichtet Vorstandsmitglied Robert Werner.

So entschied man sich, ein eigenes Unternehmen zu gründen. Von der Umweltorganisation Greenpeace stammt heute lediglich der werbewirksame Name, dessen Nutzung an die Einhaltung bestimmter Kriterien gebunden ist. Ansonsten sind Nichtregierungsorganisation und Firma vollständig getrennt.

Bundesweit 14.300 Mitglieder hat die Genossenschaft mittlerweile. Sie haben das Unternehmen mit einem Grundkapital von 4,3 Millionen Euro ausgestattet; ab 55 Euro ist man dabei. Inzwischen versorgt der Betrieb 82.000 Geschäfts- und Privatkunden mit sauberer Elektrizität - darunter die Luxemburger Eisenbahn und alle Oxfam-Shops. Damit ist Greenpeace Energy die größte Einkaufsgenossenschaft Deutschlands.

Seit einiger Zeit reicht es Greenpeace Energy nicht mehr, nur mit sauberem Strom zu handeln. Die Genossenschaft hat deshalb eine Tochtergesellschaft gegründet, die sich am Bau neuer Solar- und Windkraftanlagen beteiligt. Doch Robert Werner hat bereits weitergehende Visionen: Schon in ein paar Jahren könnte es so günstige Photovoltaikanlagen, Miniwindräder und Blockheizkraftwerke geben, dass sich immer mehr Häuserblocks ganz von den zentralen Stromnetzen abkoppeln können und damit komplett unabhängig von den großen Konzernen werden. Keine Frage: Sobald sich so etwas rechnet, will die Genossenschaft hier kräftig investieren.

Doch der Weg zu einer kleinteiligen Energieversorgung ist kein einfacher. In den Anfangsjahren machten die Großkonzerne laufend Schwierigkeiten, wenn sich ein Kunde von ihnen verabschieden wollte. Inzwischen aber müssen Greenpeace Energy und andere neue Stromanbieter deswegen nur noch selten vor Gericht ziehen: Richter und Bundesnetzagentur haben die traditionellen Alleinherrscher immer wieder in die Schranken gewiesen.

Eine ähnliche Entwicklung bei der Gasversorgung lässt dagegen noch auf sich warten, obwohl Privatkunden offiziell seit zwei Jahren den Anbieter frei wählen können. In Bremen beteiligen sich mehrere tausend Bürger am Gaspreisboykott, weil sie nicht einsehen, dass der Regionalversorger swb ihnen von Mal zu Mal höhere Rechnungen schickte, ohne jemals klar darzulegen, wie die Kostensteigerungen zustande kommen. Deshalb kündigten sie ihre Einzugsermächtigungen und zahlen nur noch Teilbeträge. Schon mehrere Richter haben sich mit dem Thema beschäftigt. Endgültig entschieden ist aber noch nichts.

Achthunder Unzufriedene aber wollen nicht einfach abwarten, sondern ihr eigenes Gas einkaufen. So gründeten sie die Bremer Energiehaus-Genossenschaft. Schon zweimal hatten sie eine Lieferung geordert - doch einmal platzte das Geschäft, weil ein angemietetes Zwischenlager plötzlich 24 Stunden vor der Lieferung gekündigt wurde. Und beim zweiten Mal waren die Netze an der deutsch-holländischen Grenze angeblich plötzlich völlig überlastet. Beschwerden bei der Netzagentur waren bisher erfolglos. "Die Abteilungen sind unterbesetzt und außerdem mit den traditionellen Konzernen verflochten", glaubt Genosse Michael Großler. Der Frust ist groß.

Damit die Energiehaus-Genossenschaft nicht auseinanderfliegt, haben sich ihre Mitglieder nun erst einmal auf einen gemeinsamen Stromeinkauf verständigt. Doch das alte Ziel bleibt: Auch beim Gas soll die geschlossene Gesellschaft der Großversorger aufgebrochen werden.

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