Tillich wird Milbradt-Nachfolger: Landespolitiker von Welt

Stanislaw Tillich wird am Mittwoch zum sächsischen Ministerpräsidenten gewählt. Der CDU-Politiker wirkt weltgewandt und geschmeidig - zu geschmeidig, finden manche.

Zurückhaltend bis zur Unkenntlichkeit, sagen einige über Tillich - dabei hat er Ecken und Kanten. Bild: dpa

1987: Der katholische Sorbe Stanislaw Tillich tritt der CDU der DDR bei, einer der vier Blockparteien des ostdeutschen Regimes. Im sächsischen Kamenz wird der Diplomingenieur für Konstruktion und Getriebetechnik im Alter von 28 Jahren zudem stellvertretender Vorsitzender des Rates des Kreises und ist für Handel und Versorgung zuständig.

1990: Tillich, seit dem Mauerfall selbstständiger Unternehmer, wird überraschend als CDU-Abgeordneter in die frei gewählte Volkskammer gewählt. Er engagiert sich für ethnische Minderheiten und für SED-Opfer. 1991 gelingt ihm der Sprung ins EU-Parlament, erst als Beobachter, dann als Abgeordneter.

28. Mai 2008: Im Sächsischen Landtag soll Tillich in Dresden zum neuen Ministerpräsidenten gewählt werden. Bisher war er Finanzminister. Ins Kabinett hatte ihn Sachsens Ministerpräsident Kurt Biedenkopf schon vor neun Jahren geholt. Zuerst war er Minister für Bundes- und Europaangelegenheiten. Unter Biedenkopfs Nachfolger Georg Milbradt wurde er zusätzlich Leiter der Staatskanzlei, später Agrar- und Umweltminister. GES

Es gibt verschiedene Möglichkeiten, die Gelassenheit designierter Ministerpräsidenten zu testen. Am Stand der CDU für die Kommunalwahlen am 8. Juni besteht Stanislaw Tillich im sächsischen Zittau seinen Test: Als er sich auf eine Bierbank niedersetzt, stößt sein Kopf mit Karacho mit dem Schädel des Reporters zusammen. Der 49-jährige Finanzminister des Freistaats reibt sich kurz die Stirn und lacht: "Das hat Funken geschlagen." Wie charmant!

Charmant, nett, gelassen - dauernd sind solche Worte über Stanislaw Tillich zu hören. Am Mittwoch soll er im Sächsischen Landtag zum Ministerpräsidenten gewählt werden. Und als wäre er es bereits, sticht er hier in der Provinz schon äußerlich hervor: braun gebrannt, perfekt sitzender dunkler Anzug, gepflegtes graues Haar, ein oft fast gönnerhaftes Lächeln, staatstragende Worte, selbst wenn aus den Boxen auf dem Rathausplatz deutsche Schlager dröhnen.

Der Mann ist cool, freundlich, zurückhaltend. Das ist Stanislaw Tillich. Jedoch nicht nur. Zurückhaltend bis zur Unkenntlichkeit - dieses Wort machte seit seiner Inthronisierung durch den bisherigen Ministerpräsidenten Georg Milbradt Mitte April die Runde. Aber es trifft nicht. Kanten hat der Mann, der sich anschickt, das Musterländle des Ostens zu führen.

Um seinen Aufstieg zu verstehen, lohnt sich eine Fahrt in Tillichs Heimat, nach Panschwitz-Kuckau in der Oberlausitz. Hier steht sein orange gestrichenes Haus mitten im 1.100-Seelen-Dorf, es ist ein DDR-Normhaus Typ "Kamenz", das Tillichs Eltern gebaut haben. Darin lebt er mit seiner Frau und seiner Mutter, beide Kinder studieren. Alles ist gepflegt, so war es schon vor 1989. Die Gegend ist ländlich, ja idyllisch - und sehr katholisch. Man glaubt sich in Oberbayern, an Weggabelungen stehen uralte Betsäulen, das Dorf wird bestimmt durch das prächtige, seit 1248 bestehende Kloster Marienstern, in dem noch heute 20 Nonnen leben. Tillich ist in der Region tief verwurzelt, er ist nach eigenen Angaben "praktizierender Katholik". Und er ist Sorbe. Beides erklärt viel.

Nach Jahrhunderten der Unterdrückung hätschelte die DDR die slawischen Sorben. Und sie bedrängte sie: Dutzende ihrer Dörfer fielen dem Braunkohletagebau zum Opfer. Ihr Dachverband, die Domowina, galt als SED-hörig. Tillichs Vater Rudi war darin viele Jahre hauptamtlicher Funktionär. Und SED-Mitglied. Davon gab es nicht viele im Dorf. Aber privat wagte er etwas: Obwohl selbst evangelisch, heiratete eine Katholikin. Ihren einzigen Sohn Stanislaw erzogen sie streng katholisch. Der ging nur auf sorbische Schulen, war Messdiener und beteiligte sich später so oft wie möglich am traditionellen Osterreiten der Sorben. In Frack und Zylinder, wie es sich gehört. Ein Bild von Tillich als Osterreiter liegt auf dem Gartentisch von Gertrud Kuring. Die 68-Jährige, ebenfalls in der Domowina aktiv, war Tillichs Chemielehrerin. Sie erinnert sich an ihn als "einen Musterschüler" und sagt: "Er hatte Normen und Formen." Wie viele Sorben sei er meist ruhig, "die ducken sich eher" - Folge der Knechtung ihres Volkes, wie sie glaubt.

Aber man findet in Tillich auch die andere Seite des Sorbentums, eine Geschichte des sanften Widerstands. Vielleicht passt dazu, dass die sorbisch-katholischen Äbtissinnen von Marienstern zwar jahrhundertelang von protestantischen Klostervögten überwacht wurden, andererseits selbst evangelische Pastoren in ihren Patronatskirchen einsetzten - das war einzigartig in der deutschen Geschichte. Eine begrenzte Widerständigkeit zeigten die Sorben zuletzt gegen das SED-Regime. Tillich erzählt am Wahlkampfstand in Zittau, dass selbst Fronleichnamsprozessionen gegen die realsozialistische Obrigkeit durchgesetzt werden mussten.

Dennoch: Tillich ist nicht aus der oft christlich geprägten DDR-Opposition in die Politik gerutscht wie einige sächsische Landespolitiker. Politisch fiel er zunächst gar nicht auf. Nach dem Abitur am Sorbischen Gymnasium in Bautzen absolvierte er brav 18 Monate lang seinen Wehrdienst in der NVA und studierte dann bis 1984 an der TU Dresden Konstruktion und Getriebetechnik. Ein Jugendfreund von ihm, Alfons Rycer, studierte mit ihm in Dresden, war lange Zeit sein Zimmergenosse in einer Studentenbude. Heute ist Rycer der Vorsitzende eines Verbandes sorbischer Dörfer, darunter Panschwitz-Kuckau, und de facto Bürgermeister. In einem früheren LPG-Gebäude zieht der 49-Jährige einen gewagten Vergleich: Tillich habe sich "Schritt für Schritt hoch gearbeitet" - wie Angela Merkel: "Und plötzlich war sie dann ganz oben."

Tatsächlich zieht sich etwas Clever-Geschmeidiges durch den Lebenslauf Tillichs, wie bei der Kanzlerin, eine Karriere im Schatten: Nach dem Studium arbeitete er in einem Elektronikbetrieb. Dort erlebte und erlitt er den Mangel und das Chaos der letzten Tage der sozialistischen Planwirtschaft, wie er sich mit Grausen erinnert. Die Konsequenz: Beide, Rycer und Tillich, wollten "politisch etwas bewirken", wie Rycer sagt - sie traten in die CDU der DDR ein. Dies war, im Vergleich zur SED, das kleinere Übel. "Das hat er ganz klug gemacht", sagt Gertrud Kuring lachend.

Im Jahr 1987 trat Tillich hauptamtlich in die Verwaltung des Kreises Kamenz ein, und zwar gleich in recht hohe Position, als stellvertretender Vorsitzender des Rates des Kreises, zuständig für "Handel und Versorgung". "Normalerweise schrieb man auf dieser Ebene freitags auch Berichte an die Stasi", erinnert sich ein ehemaliger Mitarbeiter Tillichs. Dessen Arbeit bestand darin, die materielle Versorgung des ganzen Kreises sicherzustellen - vom Auto bis zum Klopapier. Auch deshalb schloss er mit Förderung der Kreisleitung ein Aufbaustudium Binnenhandel an der Handelshochschule Leipzig an. Regina Schulz, heute für die Linkspartei Erste Vizepräsidentin des Landtags, war damals in der Kreis-SED tätig. Tillich, erzählt sie, sei ein "junger Entwicklungskader" gewesen: "Das war der Stern am Himmel."

Als Angestellter der Kreisverwaltung erlebte Tillich den Mauerfall - und noch 1989 machte er sich selbstständig. Mit einem Geschäftsfreund gründete er ein Konstruktions- und Werkzeugbauunternehmen, das bis 1995 bestand. Aber schon 1990 rief wieder die Politik: Ziemlich überraschend, wie er selbst erzählt, wurde er 1990 für die CDU in die freie Volkskammer gewählt. Das konservative Wahlbündnis hatte gegen alle Erwartungen mit 41 Prozent so viele Stimmen bekommen, dass selbst Kandidaten, die weit hinten auf der Liste standen, plötzlich Abgeordnete wurden. Im Palast der Republik kümmerte sich Tillich um Belange ethnischer Minderheiten wie der Sorben. Und um SED-Opfer, die damals noch unschuldig im Knast saßen.

Seine vielleicht prägendste Zeit in der Politik aber begann 1991, als er zunächst Beobachter im Europäischen Parlament und später EU-Abgeordneter wurde. "Das hat Spaß gemacht", sagt er. Edith Müller, heute Referatsleiterin in der Hessischen Landesvertretung in Berlin und damals Grünen-Abgeordnete im EU-Parlament, ist voll des Lobes über ihren damaligen Kollegen: "Ich schwärme nur von ihm. Ich freue mich, wenn es gute Politiker gibt, und ich glaube, er ist einer." Tillich rückte rasch auf und errang für das Jahr 1997 den Posten des obersten Haushälters des Parlaments: "Das war die Krönung seiner Arbeit. Denn da hat man im Parlament am meisten Macht", sagt Edith Müller. Engagiert hat er sich auch für der EU-Beitritt der östlichen Staaten. "Dass er selbst einer slawischsprachigen Minderheit angehört, war dabei ein ganz großer Vorteil für ihn." Die Tillichs sprechen zu Hause Sorbisch, sein Polnisch ist fließend, sein Tschechisch passabel. Kein Wunder, dass er im Vergleich zu vielen Landespolitikern Sachsens wie ein Mann von Welt wirkt.

Vielleicht auch deshalb ernannte ihn der damalige Ministerpräsident Kurt Biedenkopf 1999 zum Minister für Bundes- und Europaangelegenheiten. In dieser Endzeit von "Geenich Gurt" blieb Tillich farblos, verstand es aber geschickt, sich aus den Kämpfen um die Nachfolge Biedenkopfs herauszuhalten, sodass er unbeschadet unter Georg Milbradt Chef der Staatskanzlei werden konnte. Die Fraktionschefin der Grünen in Landtag, Antje Hermenau, sagt maliziös: "Er wurde sowohl von Biedenkopf wie von Milbradt protegiert. Das kann man als Qualitätsmerkmal betrachten." Unter Milbradt wurde er Umwelt- und Agrar-, zuletzt Finanzminister. Beim Hochwasserschutz soll er gut agiert haben, zusammen mit Milbradt versuchte er, die Krise bei der Landesbank zu managen. Bei den Biobauern ist er allerdings unbeliebt. Insgesamt, meint Antje Hermenau, habe er sich noch kaum bewährt: "Bisher ist er immer nur durch die Gegend gefahren, um irgendwo Bändchen durchzuschneiden."

Was man oft hört über Tillich, spricht die Grüne aus: "Ich habe ihn noch nie an der Spitze irgendeiner Bewegung mit dem Schwert in der Hand gesehen. Er riskiert nicht wirklich etwas." Tillich hat sich ehrgeizig und clever nach oben geschlichen, wofür er steht, ist unklar. "Der hat keine Feinde", sagt ein CDU-Parteifreund aus Sachsen, "der hat aber auch keine bedingungslosen Freunde." Und wie Edith Müller benutzt er eine alte Redewendung, um Tillichs Aufstieg zu beschreiben: "Manchmal kommt das Amt zur Person." Detlev Samland war einst ein SPD-Kollege Tillichs im EU-Parlament und sagt: "Er hat sich nie nach vorn gedrängelt." Aber ehrgeizig, "oh ja, das ist er schon". Im Hinterkopf habe sein Freund Tillich immer gehabt, einmal Ministerpräsident zu werden.

Morgen ist es so weit. Tillich wird der erste Sachse in diesem Amt sein. Am CDU-Stand in Zittau wagt es ein Passant, den Landesvater in spe anzusprechen. Er will ihn überzeugen, seinen Verein zu unterstützen. Tillich erklärt dem Rentner freundlich, kurz und nüchtern, warum er da leider nichts machen könne, weil er nicht zuständig sei. Der Bittsteller scheint mit der Antwort zufrieden zu sein, sagt freundlich Auf Wiedersehen und lächelt. Tillich lächelt zurück.

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